Junge Forschung

Die Müllabfuhr des Körpers

Bei Nahrungsmangel verdaut die Zelle Schädliches und gewinnt so zugleich neue Energie. Claudine Kraft untersucht, wie das funktioniert.
Bei Nahrungsmangel verdaut die Zelle Schädliches und gewinnt so zugleich neue Energie. Claudine Kraft untersucht, wie das funktioniert.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Molekularbiologin Claudine Kraft von den Wiener Max F. Perutz Laboratories erforscht den Selbstreinigungsprozess der Zelle. Gerade wurde sie an die Universität Freiburg berufen.

Der Blick durchs Mikroskop kann so spannend sein wie eine Weltreise. Besonders, wenn es um noch unentdeckte Gefilde geht. Den Eindruck hat man, wenn Claudine Kraft von ihrer Forschung zu den molekularen Mechanismen der Autophagie spricht. Dann blitzen ihre Augen. Die Molekularbiologin und assoziierte Professorin an den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) der Uni Wien und Med-Uni Wien ist Grundlagenforscherin mit Leib und Seele. „Ich will einfach wissen, was in der Zelle passiert“, reagiert sie leicht belustigt auf die Frage nach ihrem Ziel. „Dem gehe ich am liebsten ohne Hintergedanken nach.“

Nicht dass die Autophagie keinen Nutzen hätte. Im Gegenteil: Vielversprechende Anwendungspotenziale zeichnen sich am Horizont ab. Der Begriff kommt aus dem Griechischen und heißt so viel wie „sich selbst fressen“ oder „Selbstverdauung“. Es ist eine Art zelleigene Müllabfuhr inklusive Recycling: Bei Nahrungsmangel verdaut die Zelle alles nicht mehr Benötigte in sich selbst. So erhält sie neue Energie und entsorgt zugleich Schädliches: Viren, Bakterien, falsch gefaltete Eiweiße und verklumpte Mitochondrien, die Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer oder Krebs fördern. Doch wie sie diese Selbstreinigung schafft, ist längst nicht geklärt. Was Voraussetzung wäre für – beispielsweise – maßgeschneiderte Medikamente. Gut also, dass es die rein neugiergetriebene Grundlagenforschung gibt.

Andere Proteine an- und ausschalten

Im komplexen Zusammenspiel aus Eiweißen setzt Kraft beim Protein Atg1 an. „Es ist der Hauptregulator der Autophagie“, sagt sie. „Ohne Atg1 findet diese nicht statt.“ Zudem ist es das einzige an der Autophagie beteiligte Protein mit Kinasefähigkeit. Das heißt, es kann andere Proteine aktivieren oder deaktivieren. Kraft fand heraus, welche anderen das sind und wie es diese steuert.

„Man kann sich das so vorstellen, dass die einzelnen Arbeiter im Autophagieteam ja sehen müssen, ob da gerade Müll ist und nicht etwas Lebenswichtiges, das keinesfalls abgebaut werden darf“, veranschaulicht sie. Atg1 besitze sozusagen den Zugriff auf den Lichtschalter, den es im richtigen Moment betätige, um zu signalisieren: „Jetzt ist hier Müll, bitte entsorgen.“ Natürlich werfe diese Erkenntnis gleich die nächsten Fragen auf, lächelt Kraft. Projektziele beschreibe sie darum ungern. Weil Forschung so nicht funktioniere. Umwege seien das Normale. Bestes Beispiel: Yoshinori Ohsumi, dessen Nobelpreis im Vorjahr die Autophagie bekannt gemacht hat. Der Japaner hat sie entdeckt. „Aber lange hat er fast als Einziger am Müll von Hefezellen herumgewurschtelt und wusste gar nicht, dass das einmal bahnbrechend sein würde.“

Offensichtlich überzeugen Krafts Projektanträge trotzdem: Preise säumen ihren Weg. 2011 hat sie mit einer „Vienna Research Groups for Young Investigators“-Förderung des Wiener Wissenschaftsfonds WWTF eine eigene Forschungsgruppe am MFPL-Department für Biochemie und Zellbiologie aufgebaut. Nach drei Jahren wurde sie fest angestellt. Dazu kamen zwei „Stand alone“-Grants des Wissenschaftsfonds FWF, im Juni wurde sie mit dem START-Preis des FWF ausgezeichnet.

Das Bangen um Finanzierung beenden

„Der Campus des Vienna Bio Centers ist einzigartig“, sagt sie. Dennoch wird sie ab November an der Universität Freiburg weiterforschen. „In Österreich muss man leider selbst unter besten Voraussetzungen um die Kontinuität seiner Forschung bangen“, erklärt sie ihre Entscheidung. Spitzenforschung sei nun einmal eine Frage des Geldes. „Ich bin absolut für die Einwerbung von Drittmitteln, aber es brauchte von staatlicher Seite mehr Absicherung.“

Die Verbindung zu Wien halten die Wiener Großeltern ihrer beiden Kinder aufrecht. Mit der Familie zog sie in ihre Heimatstadt Basel, von wo sie und ihr Mann ihre Arbeitsstätten gut ansteuern können. Und wo es ebenfalls Oma und Opa gibt. „Ohne Großeltern hätte ich das alles nie geschafft.“ Für den Rest sorgen die Leidenschaft für ihr Fach, viel Bewegung und frische Luft. „Obwohl ich meinen Mann beim Indoorklettern kennengelernt habe, kraxeln wir meist in der Natur herum.“

Zur Person

Claudine Kraft, geboren 1978 in Basel, baute nach der Dissertation in Wien und Post-Doc-Stelle an der ETH Zürich 2011 an den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) eine Autophagie-Gruppe auf. 2015 habilitierte sie sich, im Juni 2017 erhielt sie den START-Preis. Im November tritt sie eine Professur an der Universität Freiburg an. Parallel dazu beendet sie bis Ende 2018 ein an den MFPL laufendes Forschungsprojekt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2017)

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