Susanne Seifert: Ein Herz fürs Lesen

Susanne Seifert forscht an der Uni Graz dazu, wie Kinder leichter lesen lernen. In der Freizeit liest sie ihrem zweijährigen Sohn vor.
Susanne Seifert forscht an der Uni Graz dazu, wie Kinder leichter lesen lernen. In der Freizeit liest sie ihrem zweijährigen Sohn vor.(c) Helmut Lunghammer
  • Drucken

Die Patholinguistin Susanne Seifert entwickelte in ihrer Dissertation Unterrichtsmaterialien, mit denen Kinder mit unterschiedlicher Muttersprache besser lesen lernen.

Lesen gehört zum Leben. Es ist für mich ein Herzensthema, jedes Kind sollte gleichberechtigt die Möglichkeit haben, Lesekompetenzen zu erlangen“, sagt Susanne Seifert. Dabei soll auch ihre Forschung helfen. Denn die 31-jährige Absolventin der Patholinguistik, eine sprachwissenschaftliche Teildisziplin, die sich mit Sprach-, Stimm- und Sprechstörungen befasst, entwickelte in ihrer wissenschaftlichen Arbeit Lese- und Lernmaterialien speziell für Schulen mit hohem Migrationsanteil. Dafür wurde sie kürzlich selbst belohnt: mit einem Forschungspreis des Landes Steiermark in der Kategorie „Brain“ und überdies mit dem Landespreis für Forschung.

„In vielen Klassen sitzen heute Kinder mit Erstsprache Deutsch gemeinsam mit Kindern, die eine andere Erstsprache haben“, sagt sie. Ihr Ziel sei, „Kinder mit schlechten Karten“ gut zu unterstützen und die anderen zugleich passend zu fördern. Dabei sei nicht allein der Migrationshintergrund entscheidend: Bei 25 Kindern in einer Klasse treffe man auf 25 unterschiedliche Rechtschreib- und Lesefähigkeiten, so Seifert. Letztere sind allerdings bei jedem sechsten Volksschüler in Österreich nicht so ausgereift, wie sie sein sollten. Das zeigt eine in der Vorwoche veröffentlichte internationale Vergleichsstudie. Diese Kinder können maximal einfache Leseaufgaben lösen, dennoch müssen Lehrer einen Weg finden, mit der ganzen Klasse zugleich zu arbeiten.

Ein Text, viele Niveaus

Das Zauberwort, mit dem das gelingen soll, lautet Differenzierung: Wenn die Schüler anderes Vorwissen und andere Talente mitbringen, müsse auch der Unterricht dieser Vielfalt gerecht werden, so die Idee. Für ihre Dissertation am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Uni Graz entwickelte Seifert zunächst ein Konzept und führte ab 2012 mehrere Studien durch, um es zu erproben. Gemeinsam mit Kollegen verfasste sie eine Vielzahl an Texten zu insgesamt zehn verschiedenen Themen für zwei Schuljahre in unterschiedlichen Sprachniveaus: komplexere und weniger komplexe Texte, längere und kurze. Diese entsprachen vier Gruppen, in die die Lehrer ihre Schüler entsprechend der Vorkenntnisse einteilten.

„Die Vorbereitung war ein Riesenaufwand, noch mehr Gruppen wären für die Lehrer nicht mehr handhabbar gewesen“, sagt Seifert. Zwei Schuljahre lang wurde in Klassen in und um Graz nach dem neuen Modell unterrichtet. Gute Leser bekamen schwierigere, längere Texte, damit sie nicht unterfordert oder zu schnell fertig waren. „Das muss man gut abwiegen, damit sich die Kinder dadurch nicht bestraft fühlen“, so Seifert. Die fiktiven Figuren Mona und Hasan begleiteten die Kinder in den Unterlagen, dazwischen gab es Spiele.

Bevor die Schüler die für sie passenden Texte lasen, erarbeiteten die Lehrer mit der ganzen Klasse die 15 bis 20 wichtigsten, häufig vorkommenden Wörter in einer „Wortschatzstunde“. „Wir haben Nomen, Verben und Adjektive zu einem Thema bunt gemischt“, erzählt Seifert. Zu Herbst etwa „Blätter“, „Wind“, „fallen“ oder „ernten“. Alle führten Wortschatztagebücher, mit denen sie die verschiedenen Wortarten auch zu Hause mit den Eltern durchgehen konnten.

Der Wortschatz ist gewachsen

Mehrere Volksschulen wirkten zunächst als Kontrollschulen, dort unterrichteten die Lehrer wie bisher. „So haben wir gesehen, wie viel die Maßnahmen bringen. Aber wir mussten versprechen, dass diese Schulen dann im Jahr darauf drankommen“, so Seifert. Schon nach dem ersten Testdurchlauf mit 159 Kindern zeigte sich, dass diese sowohl ihren Wortschatz als auch ihre Lesefähigkeit im Vergleich zu regulärem Unterricht deutlich verbessert hatten. Dieses Bild bestätigte sich auch in weiteren Untersuchungen.

Die Dissertation hat sie 2015 abgeschlossen. Derzeit forscht Seifert in einem EU-weiten Projekt dazu, wie Lehrer mehrsprachige Klassen sehen. Die ersten Ergebnisse soll es demnächst geben. Die Liebe zum Lesen endet für sie freilich auch nicht in der Freizeit. Seifert liest alles – vom Krimi über Belletristik bis zum Kitschroman –, auch auf Englisch. Und sie liebt Kinderliteratur. Nach dieser sucht sie auch international, um daraus ihrem zweijährigen Sohn vorlesen zu können.

Zur Person

Susanne Seifert (31) kommt aus Halle/Saale, Deutschland. Sie studierte an der Uni Potsdam Sprachwissenschaft (Schwerpunkt Patholinguistik) und arbeitete dann als Sprachtherapeutin. In einer Fortbildung lernte sie Erziehungswissenschaftlerin Barbara Gasteiger-Klicpera kennen und folgte ihr für das Doktorat an die Uni Graz. Seiferts Forschung wurde kürzlich mit zwei Forschungspreisen des Landes Steiermark ausgezeichnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.