Gutes Leben

Wie sich verschiedene Disziplinen, Ökonomie etwa und Soziologie, ein gutes Leben in einer Postwachstumsgesellschaft vorstellen können: Als Wohlfahrt und Resonanz mit der Welt.

Dem scheidenden Wifo-Leiter, Karl Aiginger, war langer Applaus beschieden, als er diese Woche die Ergebnisse des Projekts „Welfare, Wealth and Work for Europe“ (WWWforEUROPE) präsentierte. Gemeinsam mit 33 anderen Instituten hat das Wifo in vierjähriger Arbeit eine ausgefeilte Strategie entwickelt, wie die EU durch soziale und ökologische Innovationen zu neuer Dynamik gelangen könnte (www.foreurope.eu). Dynamik wird dabei nicht als Steigerung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) verstanden, sondern als Erhöhung der Wohlfahrt. Die Zeiten hohen Wirtschaftswachstums seien vorüber, und falls das Wachstum überhaupt jemals zurückkehren sollte, dann werde es die Probleme – Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit oder überbordenden Ressourcenverbrauch – nicht lösen können, machte Aiginger deutlich.

Es gehe nun darum, die Wohlfahrtsentwicklung vom Wirtschaftswachstums zu entkoppeln – also mit geringerem Wachstum eine höhere Lebensqualität zu erzielen. Wohlfahrt ist dabei scharf definiert als Einkommensdynamik, soziale Inklusion und ökologische Nachhaltigkeit.

So soll quasi die Basis für ein „gutes Leben“ – ein Megathema unserer Tage – geschaffen werden. Der deutsche Soziologe Hartmut Rosa gab bei seinem Wien-Besuch diese Woche eine interessante Deutung: Ein „gelingendes Leben“ bilde sich aus vielfältigen Resonanzbeziehungen mit der Welt. Mit Resonanz meint er eine Verbundenheit mit der Welt – mit Mitmenschen, in der Arbeits- und Konsumwelt, mit Natur, Kunst oder Religion. Diesem Thema hat der in Jena und Erfurt tätige Forscher sein neues Buch, „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“ (816 Seiten, 36 Euro, Suhrkamp), gewidmet.

„Die Moderne ist verstimmt“, lautet Rosas zentraler Befund. Immer mehr Menschen komme die Resonanz mit der Welt abhanden, sie litten unter Entfremdung. Viele würden glauben, dass sie ein besseres Leben haben würden, wenn sie durch höheren Wohlstand ihre „Resonanzpotenziale“ erweiterten. Im heutigen System werde dieses Versprechen aber nicht eingelöst. Eine Abkehr vom bisherigen „Steigerungszwang“ könne die Basis für eine neue Qualität der Resonanzbeziehungen mit der Welt schaffen, so Rosas Hoffnung.

Es ist interessant und bezeichnend für die Lage der Welt, dass zwei so unterschiedliche Disziplinen wie Ökonomie und Soziologie zu einem durchaus ähnlichen Entwurf für eine Welt nach dem rasanten Wirtschaftswachstum gelangen.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com 
diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2016)

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