Bergkristall

Gegenstände aus Bergkristall faszinierten die Menschen früher ungemein. Für uns ist das kaum mehr nachvollziehbar – wir sind durch den technologischen Fortschritt geblendet.

Diese Woche sorgte ein „Sensationsfund“ für Aufsehen: Am Pfitscherjoch im Zillertal sei ein 4000 Jahre altes Beil aus Bergkristall gefunden worden, hieß es. Na ja: Ausgegraben wurde der Gegenstand schon 2006, aber erst durch die Ausstellung „Bergauf, bergab“ im Vorarlberg-Museum wurde nun die Öffentlichkeit auf ihn aufmerksam. Dass es auch in anderen Museen uralte Gegenstände aus Bergkristall gibt – etwa die mehr als 8000 Jahre alten Geschossspitzen im Keltenmuseum Hallein –, wurde in keinem Bericht erwähnt.

Das verwundert nicht, denn Artefakte aus Bergkristall führen in unserer Wahrnehmung ein Schattendasein. Ein gutes Beispiel dafür ist die Salzburger Landesausstellung „Bischof.Kaiser.Jedermann“. Dort könnte man – neben den imposanten Rüstungen und uralten Büchern – die beiden barocken Bergkristallschalen glatt übersehen. Warum uns dieses Material nicht wirklich ins Auge springt, lässt sich erklären: Wir können kaum mehr nachvollziehen, welche Faszination Gegenstände aus den wasserhellen Quarzkristallen früher ausgeübt haben. Vor 400 Jahren konnte man ausschließlich aus Bergkristall klare dickwandige Gefäße mit geschnittenen oder geschliffenen Verzierungen herstellen. Erst Ende des 17. Jahrhunderts wurde (in England und Böhmen) das Kristallglas erfunden; seit dieser Innovation sind geschliffene Gläser für uns etwas ganz Normales.

Bergkristallgefäße waren immens wertvoll – nicht nur wegen ihrer optischen Brillanz, sondern auch wegen der enormen Herausforderungen beim Herausschneiden aus dem harten und spröden Naturstoff. In der Salzburger Ausstellung erfährt man noch ein weiteres interessantes Faktum: Bevor die Kristallschleiferei im Fürsterzbistum ihren Betrieb aufnehmen konnte, musste ein Vorrat an Rohkristallen besorgt werden. Man sollte glauben, dass das angesichts der nahen Alpen kein Problem war – welch imposante Kristalle es unweit von Salzburg gibt, sieht man etwa an den sieben Riesenbergkristallen im Haus der Natur. Aber trotz der Nähe zu den Lagerstätten wurden die Kristalle schnell zur Mangelware, die Salzburger Kristallmühle hatte kein langes Leben.

Eine Ahnung davon, welchen Glanz Prunkgefäße aus Bergkristall verbreitet haben, bekommt man in der aktuellen Ausstellung „Feste feiern“ im Wiener Kunsthistorischen Museum: Dort haben Kunsthistoriker – erstmals – ein barockes Schaubuffet rekonstruiert. Man schaue und lerne wieder staunen!

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

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diepresse.com/wortderwoche

(Print-Ausgabe, 21.08.2016)

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