Wort der Woche

Gespräch um den Punkt

Was können Religionen zur nachhaltigen Entwicklung beitragen? Sehr viel, meinten Experten beim Forum Alpbach. Aber ganz so einfach ist die Sache dann doch nicht.

Normalerweise treffen sich die Damen und Herren hinter den hohen Mauern des Vatikans. Diese Woche war eine Ausnahme: Die 2016 gegründete Initiative „Ethics in Action“ hielt ein Arbeitstreffen am Rande des Forums Alpbach ab, zu dem zahlreiche Philosophen, Wissenschaftler, Vertreter aller Weltreligionen, Unternehmer und Aktivisten angereist waren.

Ein Hauptthema war, was Religionen zu nachhaltiger Entwicklung beitragen können. Die einhellige Meinung aller war: sehr viel – und das trotz aller Differenzen in den Lehren und Traditionen der verschiedenen Religionen. „Leben ist in gewisser Weise ehrwürdig – oder religiös formuliert: Es gibt einen transzendentalen Ursprung des Lebens, der geschützt werden muss. Das menschliche Leben hat daher per se einen Wert: nämlich die Würde“, formulierte es Claus Dierksmeier, Direktor des Global Ethics Institute in Tübingen. Diese Synergie zwischen Religion und rationalem Denken ließe sich zwanglos auf die Welt ausdehnen, meinte Jeffrey Sachs, Professor an der Columbia University: „Alle Weltreligionen richten sich auf das globale Gemeinwohl aus“, formuliert er. Denselben Gedanken drückte der Muslim Hamza Yusuf (Zaytuna College, Berkeley) so aus: „Es gibt die gemeinsame Tradition aller Religionen, ein Bewusstsein dafür zu haben, wie wir leben.“ Und von da war es nicht mehr weit zu der Erklärung von Marcelo Sánchez Sorondo, dem Kanzler der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften: „Alle Religionen unterstützen die Würde des Menschen und daher auch die Sustainable Development Goals.“ Denn, so der britisch-israelische Rabbi David Rosen: „Wenn wir die Erde zerstören, zerstören wir uns selbst.“

Diese Einigkeit ist fast zu schön, um wahr zu sein. Und in der Tat: Eine Teilnehmerin bei einer öffentlich zugänglichen Debatte in Alpbach meldete sich mit folgender Frage zu Wort: „Was machen wir mit den Lehren in unseren Traditionen, die nicht gut für eine nachhaltige Entwicklung sind – etwa mit der Tatsache, dass sich die meisten Traditionen in patriarchalen Gesellschaften entwickelt haben, in denen es für Frauen nicht die gleichen Freiheiten und Möglichkeiten gab?“ Eine wirklich gute Frage – denn Gleichstellung der Geschlechter ist eines der nachhaltigen Entwicklungsziele. Eine adäquate Antwort darauf war nicht zu hören.

Zu Ende gedacht ist die Sache also noch nicht. Für die „Ethics in Action“-Gruppe gibt es wohl noch einiges an Gesprächsbedarf.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2017)

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