Wort der Woche

Für die Katz´

Abermillionen von Katzenvideos und kein Ende. Eine US-Autorin spürt den Gründen nach, warum Katzen das Internet erobert haben: Es mag an ihrer Unergründlichkeit liegen.

Als Mäusejäger werden Katzen seit Jahrtausenden geschätzt. Als Heimtiere geliebt werden sie aber erst seit gut 100 Jahren. Das dafür umso mehr. „Unsere Kultur ist – on- wie offline – in einem Katzenwahn gefangen“, stellt die US-Autorin Abigail Tucker fest. In ihrem eben auf Deutsch erschienenen Buch „Der Tiger in der guten Stube“ (304 Seiten, Theiss, 20,60 Euro) geht sie der Frage nach, wie die Katzen erst uns und dann die Welt eroberten – inklusive Internet. Wie viele Bilder von Katzen im Internet kursieren, weiß niemand. Manche Katzenvideos wurden bereits mehr als 100 Mio. Mal angeklickt (viermal häufiger als Hunde), allein in England werden täglich 3,8 Mio. Katzenfotos hochgeladen (und „nur“ 1,4 Mio. Selfies).

Tucker versucht mehrere Erklärungen für den Onlinekatzenboom. So könnte deren undurchschaubares Wesen, ihre Unergründlichkeit eine Rolle spielen. Es sei kein Zufall, dass Katzen sowohl im Internet als auch in der Poesie eine dominante Rolle spielten (wohingegen in Romanen eher Hunde vorkommen). Gedichte und die Onlinewelt seien fragmentarisch: Beide erzählen keine geordneten Geschichten von Anfang bis zum Ende, sondern lassen Lücken für Interpretation (und für das Beschriften von Katzenfotos), und beide haben überraschende Wendungen (in vielen Katzenvideos passiert nach anfänglicher Ruhe etwas Unvorhergesehenes).

Eine zweite Erklärung ist sehr pragmatisch: Angesichts der mehr als 500 Mio. Hauskatzen, die in Häusern und Wohnungen leben, sei es sehr einfach, Fotos und Videos von ihnen zu machen; aus demselben Grund gebe ein riesiges Publikum dafür. Manche meinen hingegen, dass alles nur Zufall sei: Es hätte auch jede andere süße Tierart sein können, die das Internet erobert. Der Ursprung der Katzen-Manie lässt sich auf das Portal 4chan zurückführen, auf dem Mitte der 2000er-Jahre Internetfreaks ihren wöchentlich freien Tag scherzhaft Caturday nannten und mit hochgeladenen Katzenbildern feierten – von denen manche mit schrägem Humor beschriftet waren. Der für solche Insiderwitze geprägte Begriff LOL Cats („Laughing out Loud Cats“, Ich-lach-mich-kaputt-Katzen) verließ recht bald diese Subkultur und breitete sich ab 2007 rasant aus.

Was auch immer die zutreffendste Erklärung sein mag: „Die Invasion unsrer Computer ist die logische Fortführung der Invasion unserer Wohnungen“, hält Tucker fest. „Und statt von Mäusen leben sie von Mausklicks.“


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2017)

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