Wort der Woche

Alles für die Flora

Bakterien üben viele wichtige Funktionen bei Menschen, Tieren und Pflanzen aus. Nun wollen Konzerne das Mikrobiom nutzen, um eine Art Hightech-Biolandwirtschaft zu ermöglichen.

Man weiß schon lange, dass alle höheren Lebewesen ein sogenanntes Mikrobiom besitzen – dass also eine Unzahl von Mikroorganismen alle Teile des Körpers besiedelt. Seit einigen Jahren wird immer klarer, dass Bakterien wichtige Aufgaben für Pflanzen, Tiere und Menschen erfüllen – und dass es bei Störungen des Mikrobioms zum Ausbruch diverser Krankheiten kommen kann. Wie die Zusammenhänge im Detail aussehen, weiß man noch lange nicht – zum einen wegen der immensen Artenvielfalt, zum anderen, weil nur ein Bruchteil der Mikroorganismen im Labor gezüchtet und untersucht werden kann.

Trotzdem werden bereits erste Anwendungen sichtbar. In der Medizin wird bei schweren Darmentzündungen eine sogenannte Stuhltransplantation durchgeführt: Dabei werden die Exkremente gesunder Spender im Labor aufbereitet und in den Darm von Patienten eingebracht. Die Hoffnung ist, dass sich die „gesunden“ Bakterien dauerhaft ansiedeln und die gestörte Darmflora wiederherstellen – was in vielen Fällen schon gelingt (Lancet, 389, S. 1218).

Aber auch große Agrarkonzerne experimentieren mit der gezielten Anwendung von Mikroorganismen – und zwar unter dem Schlagwort „Phytobiom“. Wie in der aktuellen Ausgabe von Scientific American berichtet wird, haben der US-Konzern Monsanto und die dänische Biotech-Firma Novozymes die BioAg Alliance gegründet: An Dutzenden Standorten wird getestet, ob und wie man Saatgut und Pflanzen durch die Zugabe bestimmter natürlich vorkommender Bakterien besser wachsen lassen und gegen Schädlinge und Krankheiten schützen kann. Interessant ist das insbesondere, weil Monsanto ja weltweit für seine genmanipulierten Pflanzen in der Kritik steht: Mit der neuen Aktivität arbeitet der Konzern nun auch an einer quasi „vollbiologischen“ Technologie des Pflanzenschutzes.

In diesem Biotop tummeln sich auch viele Start-up-Firmen, die wissenschaftliche Erkenntnisse zu Produkten für die Landwirtschaft umsetzen wollen. So wurde etwa auf Zuckerrohr eine Bakterienart gefunden, die Luftstickstoff bindet und die Pflanze auf natürliche Art düngt – ähnlich wie es Knöllchenbakterien bei Leguminosen machen. Dieses Bakterium scheint auch bei anderen Pflanzenarten einsetzbar zu sein; das hofft zumindest das britische Unternehmen Azotic Technologies, das – wenn es klappt, wohl zu Recht – ein Milliardengeschäft wittert.

Hier ist offenbar eine echte Revolution im Gang.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2017)

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