Wort der Woche

Effizienz erneuert

Ökonomen ringen um ein umfassenderes Verständnis des Energiesystems, denn der derzeitige Fokus auf Erneuerbare, Effizienz und Energiewende sei nicht mehr ausreichend.

Prognosen sind bekanntlich schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Dieses Bonmot von Mark Twain (oder von Niels Bohr oder von Karl Valentin?) hat einen zutiefst wahren Kern – der in der Praxis aber oft ignoriert wird. Denn Prognosen sind, oft als Szenarien oder Strategien verbrämt, allgegenwärtig. So auch bei der eben zu Ende gegangenen Bonner Weltklimakonferenz, bei der unzählige Zukunftserwartungen diskutiert wurden.

Es kommt aber meistens anders, als man denkt. Unter anderem deshalb, weil es unvorhergesehene Entwicklungen gibt, die die Rahmenbedingungen komplett („disruptiv“) verändern. New York z. B. ist, anders als vor 120 Jahren prognostiziert wurde, nicht metertief in Pferdemist versunken – denn Automobile haben die Pferdekutschen abgelöst.

Die Umweltökonomen Angela Köppl und Stefan Schleicher halten daher die gängigen Energiestrategien für nicht zielführend. Das derzeitige Verständnis im Umgang mit Energie habe den Fokus, aus welchen Quellen man Energie bereitstellen könnte – dabei befasse man sich v. a. mit erneuerbaren Energien, Effizienz und Energiewende. Dieses „E-Vokabular“ sei aber „nicht mehr ausreichend und möglicherweise sogar kontraproduktiv für einen konstruktiven Umgang mit disruptiven Veränderungen“, argumentierten sie diese Woche bei einem Hintergrundgespräch. Und im Energiesystem gebe es derzeit viele Signale für Disruptionen.

Die beiden Wifo-Ökonomen propagieren daher einen anderen Denkansatz: Man sollte nicht von der Primärenergie ausgehen, sondern vielmehr fragen, wofür wir Energie brauchen. Man sollte also zuerst die energetischen Funktionalitäten für Wohnen, Mobilität, Produkte etc. betrachten – und erst danach, mit welchen Technologien und Energieflüssen diese erreicht werden könnten. Dadurch rücke die gesamte energetische Wertschöpfungskette von der Bereitstellung bis zur Verwendung in den Blick, man habe mehr Optionen und sei offener für Veränderungen. Köppl und Schleicher nennen diesen flexibleren Ansatz I-Strategien: Inversion (Umkehr der Analysekette, ausgehend von Funktionalitäten und nicht von Primärenergie), Innovation (neue Technologien und Geschäftsmodelle) sowie Integration (Synergien durch systemische Designs).

Mit diesem neuen Mindset sei ein „kräftiges Reset“ der Klima- und Energiepolitik schaffbar, sind die Ökonomen überzeugt. Und ein solches sei dringend nötig, denn derzeit befinde sich das österreichische Energiesystem auf einem Kollisionskurs.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2017)

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