Wort der Woche

Mediengeschichte

Eine Ausstellung im Karl-Marx-Hof erinnert an die florierende Zeitungslandschaft in der Zwischenkriegszeit.

Als Angehöriger der schreibenden Zunft könnte man fast wehmütig werden: Vor 100 Jahren galten Bücher, Zeitungen und Zeitschriften als adäquates Mittel im Kampf gegen den „Unverstand der Massen“. Laut Historikern wurde dem Lesen ein „fast religiöse Bedeutung“ zugemessen, die Rede war gar von einem „Emporlesen“ in eine bessere Zukunft.

Von einer derart hohen Bedeutungen des gedruckten Wortes kann heute – leider – keine Rede mehr sein. Doch damals sorgten die genannte Argumente für einen ungeheuren Zeitungsgründungsboom – vor allem in der linken Reichshälfte, wie bei der Sonderausstellung „Presse und Proletariat“ im Waschsalon Nr. 2 im Wiener Karl-Marx-Hof eindrucksvoll gezeigt wird (19., Halteraugasse 7; geöffnet Do 13–18 Uhr und So 12–16 Uhr).

Es ist beinah unglaublich, welche Fülle an Printmedien es seinerzeit gab. Neben den Flaggschiffen der Sozialdemokratie, der „Arbeiter-Zeitung“ und „Der Kampf“, wurde als linke Antwort auf die „Österreichische Konen-Zeitung“ das ebenso boulevardeske „Kleine Blatt“ gegründet, als linke Illustrierte diente „Der Kuckuck“, als Satireblätter die „Glühlichter“ oder „Die Leuchtrakete“. Weitere Titel waren etwa die „Arbeiterinnen-Zeitung“, „Die Unzufriedene“, „Der Abstinent“, die „Arbeitersänger-Zeitung“ „Der Invalide“, der „Arbeiter-Radfahrer“, „Der Kleinbauer“, „Die Flamme“ (des gleichnamigen Arbeiterfeuerbestattungsvereines), „Biblischer Sozialismus“ und so weiter und so fort.

Diese immense Vielfalt konnte nur bis Anfang der 1930er-Jahre florieren. Die zunehmend rechts-autoritären Regierungen setzten alle Medien unter Druck – etwa durch Vorzensur oder die Einsetzung von Regierungskommissären in den Zeitungen. Während bürgerliche Medien wie die „Neue Freie Presse“ diese Phase (bis 1938) überlebten – wenngleich ab 1934 im Besitz des staatlichen Bundespressedienstes –, ging es allen linken Medien 1933/34 mit dem Verbot der Kommunisten bzw. der Sozialdemokraten an den Kragen.

Deren Lebenswille ist bis heute beeindruckend. Die „Arbeiter-Zeitung“ erschien ab 1934 im Exil in Brno/Brünn (ab 1937 in Paris) und wurde nach Österreich eingeschmuggelt. Manche Oppositionsmedien wurden sogar weiter in Österreich produziert und mit Umschlag und Titel legaler Druckwerke getarnt. 1938, nach dem „Anschluss“, war damit endgültig Schluss – ebenso wie für bürgerliche Medien.

Es ist ein Verdienst der vorbildlich aufbereiteten Ausstellung, an dieses Stück vergessener Zeit- und Mediengeschichte zu erinnern.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2018)

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