Wort der Woche

Geschichte des Wiener Gusshauses

Wiener Stadtarchäologen zeichnen die Geschichte des Wiener Gusshauses nach – eine Geschichte über Schwerter und Pflugscharen, die fast zu schön ist, um wahr zu sein.

Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, warum die Gusshausstraße im vierten Wiener Gemeindebezirk so heißt? Die am nächsten liegende Antwort ist auch die richtige: Weil sich dort einst das Gusshaus befand, in dem bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die Geschütze für die k. k. Armee gegossen wurden.

All jene, die das wussten, werden indes überrascht sein, dass Teile dieser historischen Stätte auch heute noch stehen, und zwar hinter dem Elektrotechnischen Institut der TU Wien. Diese Relikte wurden jüngst von der Wiener Stadtarchäologie freigelegt und untersucht, die Dokumentation erschien nun als 14. Band der Reihe „Wien Archäologisch“ („Kanonen und Kunst. Das Gusshaus auf der Wieden“, 152 S., Phoibos, 21,90 €). Wie der Titel schon andeutet, hat das Gusshaus eine äußerst interessante Geschichte: Es ist eine reale Repräsentation des biblischen Satzes „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen“ (Micha 4, 3).

Begonnen hat diese Geschichte vor 400 Jahren: Kaiser Rudolf II. konnte damals einen der hoch angesehenen Erzgießer aus Innsbruck nach Wien locken, auf der Seilerstätte entstand eine Geschützgießerei (Reste sind unter dem Ronacher erhalten). 1744 verlegte der Generaldirektor der kaiserlichen Artillerie, Josef Wenzel Fürst Liechtenstein, die Kanonenproduktion auf eine freie Fläche vor die Tore Wiens. Die Produkte dieses neuen Gusshauses auf der Wieden zählten rasch zu den besten Europas.

Da diese Werkstätte viel Platz bot, wurden ab Beginn des 19. Jahrhundert auch andere große Objekte hergestellt, u. a. Bronzestatuen. Diese Nutzung gewann Oberhand: Nachdem alle militärischen Aufgaben ab 1856 in das neu erbaute Arsenal verlegt wurden, wurde das barocke Gusshaus vollends zu einer Kunsterzgießerei. In ihr entstanden viele der monumentalen Bronzestatuen entlang der Ringstraße – etwa die Maria-Theresien-Statue zwischen Kunst- und Naturhistorischem oder das Goethe-Denkmal am Opernring. In einem Anbau zum Gusshaus richtete überdies der Ringstraßenmaler Hans Makart sein Atelier ein – sein Wohnhaus steht heute noch im Hinterhof der TU Wien.

Das Ende der Ringstraßenära bedeutete auch das Aus für die Kunstproduktion in der ehemaligen Kanonenfabrik. 1929 wurde in den leeren Hallen der Bauhof der TU eingerichtet, nun werden Labors des Zentrums für Mikro- und Nanostrukturen gebaut. Wissenschaft ist nach der Kunst also die moderne Variante von Pflugschar und Sichel.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum-Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2018)

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