Wort der Woche

Die gemeinsame Sprache trennt immer weniger

Per Big Data haben Sprachforscher im Detail nachvollzogen, wie sich das amerikanische vom britischen Englisch wegentwickelt hat – und nun immer stärker dominiert.

Was Deutschland und Österreich trennt, ist die gemeinsame Sprache. Dieser Satz wird meist Karl Kraus zugeschrieben. Das stimmt aber nicht: Er wurde erst 1957 von Karl Farkas geprägt – und zwar in Abwandlung des englischen Bonmots „Britain and America are two nations divided by a common language“, das auf Oscar Wilde zurückgeht.

Während der Unterschied zwischen Österreichisch- und Deutschdeutsch eine vielhundertjährige Geschichte hat, ist die Differenz zwischen britischem und amerikanischem Englisch jünger. Der Scheidepunkt kam 1828, als Noah Webster sein „American Dictionary of the English Language“ herausgab. Sprachforscher um David Sanchéz konnten die Entwicklung der geschriebenen Sprachen nun dank Big Data exakt nachverfolgen (Plos One, 25. 5.): Sie haben alle in Google Books erfassten britischen und amerikanischen Bücher zwischen 1800 und 2000 analysiert und für jedes Jahr einen „Polarisierungsindex“ berechnet – anhand des unterschiedlichen Vokabulars (z. B. „biscuit“ vs. „cookie“) und der Rechtschreibung (z. B. „centre“ vs. „center“). Die aktuelle Entwicklung wurde anhand von 31 Mio. Tweets von 2010 bis 2016 untersucht.

Es zeigte sich, dass sich die Rechtschreibung in den USA bis in die 1870er-Jahre rasant von der britischen wegentwickelte und danach recht stabil blieb. Ein anderes Muster wies das US-Vokabular auf, das sich schleichend und andauernd vom britischen entfernte. Der Zweite Weltkrieg brachte dann einen starken Veränderungsschub, der bis heute andauert – allerdings mit einer Unterbrechung in den ersten Nachkriegsjahren, als nach Amerika geflüchtete Europäer das Amerikanische kurzzeitig wieder etwas britischer machten.

Das Englisch in Großbritannien und den meisten ehemaligen Kolonien blieb – abgesehen von Fluktuationen während der beiden Weltkriege – bis in die 1990er-Jahre sehr britisch. Das änderte sich erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, als die USA als einzige Supermacht übrig blieben, und durch die Ausbreitung des Internets und der US-Unterhaltungsindustrie: Seither kommt es weltweit zu einer starken Amerikanisierung der Sprache, die sich auch in Großbritannien bemerkbar macht – und zwar vor allem hinsichtlich des Vokabulars, weniger bei den Schreibweisen.

Es gilt also für den englischen Sprachraum genauso wie für den deutschen, dass die gemeinsame Sprache immer weniger trennt.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2018)

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