Bunte Antike

Nicht nur Marmorstatuen waren einst bunt bemalt. Auch Bronzeskulpturen waren über und über farbig gestaltet.

Spätestens seit einigen Großausstellungen – zuletzt 2012/13 auch im Wiener Kunsthistorischen Museum – ist der interessierten Öffentlichkeit klar, dass das Bild der Antike in unseren Köpfen nicht immer der Realität entspricht. Konkret: Antike Statuen erstrahlten nicht in makellosem Weiß, sondern waren über und über bunt bemalt. Anders als dies der Vater der Archäologie, Johann Joachim Winckelmann, lange Zeit propagierte, wurden Gesichter einst fleischfarben gefärbt, Gewänder waren bunt gemustert, Augen lebensecht nachgebildet usw. Das zeigten moderne Analysemethoden wie etwa UV-Reflektografie oder -Fluoreszenz, mit deren Hilfe Farbreste auf dem Marmor nachgewiesen wurden.
Dass die Antike bunt war, ist heute Stand des Wissens – Rekonstruktionen des früheren Erscheinungsbildes sind in allen großen Museen zu bestaunen, inklusive denen in Rom und Athen.


Bei Bronzestatuen sieht die Sache anders aus: Da mit herkömmlichen Analysemethoden auf Metall kaum Spuren von Überzügen etc. nachgewiesen werden können, war man bis vor Kurzem der Meinung, dass die Metallkunstwerke ausschließlich durch die Kraft ihrer bildhauerischen Gestaltung wirken. Doch mit neuen Analysemethoden (Röntgenfluoreszenz, Thermografie) zeigte sich, dass diese Kunstwerke ebenfalls farbig gestaltet waren.


Eine auf solchen Erkenntnissen beruhende Rekonstruktion ist derzeit im Liebieghaus in Frankfurt/Main zu bewundern. In der Sonderausstellung „Medeas Liebe“ werden Nachbildungen von zwei lebensgroßen Statuen gezeigt, die 1885 am Quirinalshügel in Rom gefunden wurden. Laut Ausstellungskurator Vinzenz Brinkmann handelt es sich um Amykos und Polydeukes, zwei Gestalten aus der Argonautensage, die sich einen heftigen Faustkampf geliefert haben. Die Platzwunden, Beulen, Blutergüsse und -tropfen sind mit roten Kupfer- und Granateinlagen betont (für die es im Original Aussparungen in der Bronze gab), die Augäpfel wurden mehrfarbig aus geschnittenen Steinen ergänzt, die Haut- und Haarpartien mit schwefeligen Substanzen und mit in Leinöl gelöstem Bitumen gezielt in unterschiedlichen Farbtönen patiniert.


Im Detail kann man über die Rekonstruktionen sicherlich streiten – Brinkmann spricht auch von einem „Vorschlag zum originalen polychromen Erscheinungsbild“. Doch der Gesamteindruck ist schlicht überwältigend! So wird Antike erlebbar – und selbst jene alten Mythen, die wir aus der Schulzeit als verstaubt und verworren in Erinnerung haben, werden wieder lebendig.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2018)

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