Der Wald gerät unter Druck

Die Fähigkeit von Wäldern zur Bindung von CO2 hängt von vielen Faktoren ab. Die Zusammenhänge sind bisweilen überraschend.

Das Waldsterben der 1980er-Jahre ist uns noch in Erinnerung. Die Schädigung von Bäumen durch Schwefelabgase führte damals zu einem Umdenken, und mit der Verbannung von Kohle und der Entschwefelung von Erdöl ging dieser Spuk zu Ende. In unseren Tagen gerät der Wald aber erneut unter Druck. Neben der Zunahme von Extremereignissen (Stürme, Dürre) und dem massiven Borkenkäferbefall tritt nun ein weiteres Phänomen auf: Laut einer eben veröffentlichten internationalen Studie mit österreichischer Beteiligung hat sich die Mortalität von Bäumen in den letzten 30 Jahren verdoppelt; vermehrt davon betroffen sind ausgewachsene Bäume (Nature Communications, 26.11.).

Das klingt auf den ersten Blick nach einer sich anbahnenden Katastrophe – denn alte Bäume sind zum einen ein wichtiger Lebensraum für viele Arten und zum anderen ein gigantischer Kohlenstoffspeicher: Wenn ein ausgewachsener Baum stirbt, wird beim Vermodern all das CO2 wieder frei, das er während seines Wachstums aufgenommen und im Holz gespeichert hat. Doch der Schluss, dass dadurch der Klimawandel beschleunigt wird, scheint voreilig zu sein. Aus den Erfahrungen mit den Sturmkatastrophen Kyrill, Paula und Emma weiß man, dass sich der Wald regeneriert und dass beim erneuten Aufwachsen der Vegetation mehr CO2 gebunden als durch den Tod der Bäume frei wird.

Diese Prozesse im Detail angeschaut haben sich Forscher des Umweltbundesamts, der Universität für Bodenkultur und des Bundesforschungszentrums für Wald am Beispiel des Reichraminger Hintergebirges (im Nationalpark Kalkalpen): Dieses Gebiet wurde Anfang des 20. Jahrhunderts stark abgeholzt, in den folgenden Jahrzehnten kam es aber zu einer großflächigen Verjüngung, sodass sich der Wald nicht nur erholte, sondern auch verstärkt Kohlenstoff speicherte. Dieser Effekt, so betonen die Forscher, wirke aktuell noch immer nach – Wälder haben eben sehr lange Lebenszyklen und eine große Regenerationskraft.

Diese Erkenntnis darf aber nicht dazu führen, dass wir uns beruhigt zurücklehnen. Denn der fortschreitende Klimawandel dürfte die Fähigkeit der Wälder zur CO2-Bindung reduzieren – im Fall des Reichraminger Hintergebirges schätzen die Forscher einen langfristigen Rückgang der CO2-Aufnahme um zehn Prozent. Derzeit binden Österreichs Wälder sechs Prozent unserer CO2-Emissionen. Wenn das nicht mehr so gut funktioniert, müssen wir dies durch größere Klimaschutzanstrengungen in anderen Bereichen kompensieren.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum-Magazins“.

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diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2018)

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