Würde in Zivil

Eine Garnison aus dem 19. Jahrhundert als modernes Domizil. Ein Teil ist für Wohnungen reserviert, im anderen findet sich eine betreute Wohngruppe. Zur Revitalisierung der Welser Dragonerkaserne.

Die Dragonerkaserne in Wels ist der wahrscheinlich größte Profanbau Oberösterreichs. Die unter dem Eindruck der bürgerlich-demokratisch motivierten Revolution von 1848 errichtete Anlage ist seit 1998 im Besitz der WAG. Im Bewusstsein ihrer baukulturellen Verantwortung hat diese das Welser Architekturbüro Luger & Maul mit der Erstellung einer Nutzungsstudie und Ausarbeitung eines Gesamtkonzepts zur Sanierung der Kaserne beauftragt. Wo immer sich in dem 337 mal 123 Meter messenden Komplex ein Leerstand im Zusammenhang mit einer Nutzungserfordernis und einem gesicherten Budget ergibt, wird nun der Gebäudeteil im Sinn dieses Gesamtkonzepts revitalisiert.

Das Konzept sieht eine Längsteilung des Areals vor, das etwa einen Kilometer westlich des historischen Stadtkerns von Wels im Norden von der Salzburger und im Süden von der Dragonerstraße begrenzt wird. Die nördliche Hälfte der drei von Ost nach West an eine Mittelachse gereihten Höfe der Kaserne soll mit Wohnungen, die südliche mit Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben belegt werden. Das unmittelbar an die Kaserne schließende Umfeld wiederum soll von kleinmaßstäblichen Bauwerken bereinigt werden, um die Monumentalität der Anlage ebenso wieder angemessen zur Geltung zu bringen wie ihre Qualität als stark durchgrünter urbaner Freiraum.

Es gilt zu zeigen, wie man mit einer denkmalgeschützten, militärisch geprägten Substanz aus dem 19. Jahrhundert den zivilen Komfortwünschen des 21. Jahrhunderts entsprechen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen öffentlich geförderten Bauens berücksichtigen kann. Die erste Bauetappe betraf den Einbau von Mietwohnungen in das Erdgeschoß des Nordtrakts und des im Winkel daran anschließenden Zwischentrakts im Westhof. Luger & Maul haben die im Wechsel von massiven Mauerscheiben und Granitstützen getragenen Gewölbedecken der ehemaligen Stallungen erhalten und für die notwendigen Einbauten eine Systematik entwickelt, in der sich die additive Haltung des Bestands spiegelt. Nebenräume finden sich mit reduzierten Raumhöhen in die Mittelzone der jeweils die gesamte Trakttiefe einnehmenden Wohnungen gestellt; die Anschlüsse an die historischen Bauteile erfolgen über gläserne Fugen; daraus ergibt sich eine Galerieebene, die als Erweiterung des Wohnraums dient.

Die Fenster in den Fassaden wurden, sofern es sich um Kastenfenster handelt, als solche erhalten. Historische, mehrfach geteilte Stallfenster wurden raumseitig durch feste Verglasungen und Lüftungsflügel ergänzt. Die aus den hofseitigen Fassaden gebrochenen Öffnungen haben Luger & Maul mit gläsernen Erkern geschlossen. Vom daraus gewonnenen Zuwachs an Tageslicht profitieren die zum Hof orientieren Wohnräume bis hinauf in die Galeriegeschoße. Um sowohl die auftraggebende WAG als auch das Bundesdenkmalamt und die Baubehörde von der Angemessenheit der Maßnahmen zu überzeugen, wurde zunächst ein Prototyp errichtet, der in seiner hohen Detailqualität nun als Messlatte für alle Sanierungsarbeiten in der Kaserne dient. Der Respekt vor der konstruktiven Struktur des Bestands unter Nutzung bereits vorgefundener Veränderungen hat sich auch im südlichen Abschnitt des Westhofs bewährt, in dessen Erdgeschoßzone Büros eingezogen sind. Auch hier sind Nebenräume in den niedrig gehaltenen Einbauten der Mittelzone untergebracht; auch hier erweitert die darüber liegende Galerie den Raum. Nur die gläsernen Brüstungen wurden durch bescheidenere Sprossengeländer ersetzt. Selbst der einstigen Reithalle an der Südflanke des Hofs, deren ursprünglich deutlich repräsentativere Anmutung längst durch die Zerstörung des ursprünglichen Tragwerks und das Einziehen einer flachen Decke verloren gegangen ist, haben Luger & Maul in der disziplinierten Ordnung des Notwendigen wieder Würde verliehen.

Würde ist auch das Thema eines Sanierungsabschnitts in der nordwestlichen Ecke des Westhofs. Hier ist eine betreute Wohngruppe für zehn von Demenz betroffene Menschen entstanden, die zeigt, wie man selbst im ehemaligen Pferdestall einer Kaserne eine Atmosphäre unaufdringlicher Behaglichkeit schaffen kann, wenn man es denn versteht, die Qualitäten des Bestands zu sehen und zu nutzen. Die klare, ja strenge Ordnung der Konstruktion, die Massivität von Pfeilern und Wänden, die behütende Geste der gewölbten Decken vermitteln Sicherheit, während gläserne Fugen im Inneren und großzügige Öffnungen zum Außenraum die Grenzen einer zwangsläufig eingeschränkten Lebenswelt durchlässiger gestalten. Der zentrale Wohnraum der Gruppe ist zum Hof hin orientiert. Er wird über einen gläsernen Windfang erschlossen und von drei verglasten Erkern erhellt. Drei Stützenpaare teilen den Raum in Zonen, von denen eine durch ein sorgfältig auf mehrere Arbeitshöhen abgestimmtes Möbel als Küche ausgewiesen ist.

Die Zimmer sind vom Gemeinschaftsbereich durch die gleichen Nebenraumeinbauten getrennt, wie sie sich im Mietwohnungs- und im Bürobereich bewährt haben. Mit dem Unterschied, dass die Bäder der Pflegebedürftigkeit ihrer Nutzer entsprechenund auf die Ausbildung einer Galerieebene aus gutem Grund verzichtet wurde. Grauer Stein, weißer Verputz, der warme Holzton des Bodens; Glas, an Stellen, wo es befreiend, aber nicht verunsichernd wirkt: Die Wahl der Materialien und Farben greift auf Vertrautes zurück und lässt genügend Raum für Mitgebrachtes. Um elf Uhr vormittags haben sich alle Bewohner im Wohnzimmer zu einer Konzentrationsübungsrunde eingefunden, während gleich daneben eine zweite Betreuerin das Mittagessen fertigstellt. Das Gemüse für das Ragout haben ihre Schützlinge den Vormittag über selbst klein geschnitten. Entlang der Hoffassade erstreckt sich ein schmaler Garten. Der Alltag der Wohngruppe wird allgemein als Erfolg wahrgenommen. Der Ausbau einer weiteren Gruppe ist im Gespräch.

Die Welser Dragonerkaserne bietet noch genügend Raum für solche und viele weitere Projekte. Mit jedem gelungenen Revitalisierungsschritt aber erobert das bürgerliche Wels ein Stückchen mehr von einer Anlage, die einst als Sitz und Symbol einer längst untergegangenen Macht errichtet wurde. Ganz nah am Herzen der Stadt. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2013)

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