Architektur macht glücklich

Vorwahlzeit: Was jetzt kein Thema ist, wird es nimmermehr. Von Architektur hat man im populistischen Rauschen bisher freilich wenig gehört. Dabei braucht sie eine Politik, die ihr günstige Rahmenbedingungen schafft, mehr als je zuvor.

Als die Europäische Zentralbank kürzlich bekannt gab, dass sich für die Errichtung ihres neuen Hauptsitzes in Frankfurt kein Generalunternehmer gefunden hätte, der das von Coop Himmelb(l)au entworfene Gebäude zu akzeptablen Kosten zu errichten bereit sei, war die Überraschung unter den Fachleuten gering. Die Entwicklung der Baukosten,insbesondere der Stahlpreise, wirft derzeit weltweit die Kalkulationen über den Haufen, und nicht nur extravagante Projekte sind davon betroffen. Die Anforderungen, die an die Planer in Bezug auf Kosten- und Energiefragen gestellt werden, steigen verständlicherweise von Jahr zu Jahr, während gleichzeitig die Honorare für Planungsleistungen in Frage gestellt werden.

Eine mögliche Antwort auf diese Entwicklung ist, auf Innovation so weit wie möglich zu verzichten und sich auf das Variieren bewährter Lösungen zu beschränken. Auf mittlere Sicht betrachtet, führt dieser Weg aber zum Tod jeder Baukultur. Deren Entwicklung lebt vom kreativen Ineinandergreifen von technischen und formalen Innovationen. Heute bestätigt sich dieses Prinzip etwa im Beispiel des amerikanischen Architekten Frank O. Gehry, dem oft genug der Vorwurf des praxisfernen Formalismus gemacht wurde. Die Erfahrungen, die sein Büro bei der technischen Umsetzung von Gehrys formalen Visionen gemacht hat, sind in ein Spin-Off-Unternehmen mit dem Namen „Gehry Technologies“ geflossen, das inzwischen mehr Mitarbeiter zählt als das Stammbüro und auch für anspruchsvolle Projekte anderer Architekten tätig ist, zuletzt etwa für die Geometriedefinition und die Konstruktion des Olympiastadions in Peking. Der konsequente Einsatz prozessübergreifender IT-Werkzeuge – von dem in der Architektur bisher viel gesprochen, aber wenig umgesetzt wurde – ist ein unverzichtbares Mittel, dem aktuellen Kostendruck zu begegnen.

Trotzdem wird Bauen in absehbarer Zukunft aufwendig bleiben, zumindest wenn man auf ein hohes Niveau in ökologischer, formaler und technischer Hinsicht nicht verzichten will. In Österreich spielt die öffentliche Hand bei der Bemessung dieses Niveaus nach wie vor eine wichtige Rolle, hat doch der Staat trotz aller Ausgliederungen seine Bauherrenrolle genauso wenig aufgegeben wie die Ambition, durch Förderungen, insbesondere im Wohnbau, steuernd einzugreifen. Ein breites Spektrum wichtiger Bauaufgaben – von der Schule über das Krankenhaus bis zu Museen und öffentlichen Verwaltungsbauten – werden nach wie vor zum überwiegenden Teil aus Steuergeldern bezahlt, ganz gleich wie das jeweilige Finanzierungsmodell konstruiert ist. Eine koordinierte Architekturpolitik, wie sie die meisten europäischen Länder formuliert haben, würde der öffentlichen Hand helfen, ihre Verantwortung dabei besser wahrzunehmen.

Zu den ersten Schritten, die die auslaufendeBundesregierung in diese Richtung gemacht hat, gehörten die Vorstellung des Österreichischen Baukulturreports im Juli 2007 und dessen parlamentarische Behandlung im folgenden Herbst. Beauftragt wurde der Report, der unter www.baukulturreport.at zugänglich ist, noch von der Vorgängerregierung, allerdings auf der Basis einstimmiger Beschlüsse aller Parlamentsparteien. In der Regierungserklärung der aktuellen großen Koalition war schon im Jänner 2007 zu lesen gewesen, dass die Bundesregierung „ausgehend von diesem Report Maßnahmen zur Verankerung qualitativer Baukultur in allen Bereichen des öffentlichen Lebens setzen und die Vermittlungstätigkeit für Baukultur und zeitgenössische Architektur forcieren“ werde. An anderen Stellen der damaligen Erklärung finden sich Hinweise auf „Vielfalt im Wohnbau“, „umweltschonendes Wohnen“, „thermische Sanierung aller Nachkriegsbauten bis 2020“, „barrierefreies Bauen“ und die „Optimierung der Raumplanungspolitik zwischen Gemeinden, Land und Bund“.

Nach einer knapp zur Hälfte abgeleisteten Legislaturperiode ist die Frage, was aus diesen Ankündigungen geworden ist, erlaubt.Ein Herzensanliegen scheint das Thema für die derzeitige Regierung jedenfalls nicht gewesen zu sein. Als politisch signifikantes Thema ist einzig der ökologische Aspekt des Bauens wahrnehmbar, mit dem die Ministerien der Minister Josef Pröll und Werner Faymann zu punkten versuchten, wobei Faymann im Wesentlichen die seit 1999 bestehenden Programmschienen weiterführte, die vor allem Forschungsprojekte unterstützen. Generell hat sich die Forschungsförderung den spezifischen Bedingungen der Architektur in letzter Zeit etwas geöffnet, auch wenn das Volumen noch lange nicht internationales Niveau erreicht hat. ImBereich des Kulturministeriums hat Claudia Schmied die Vermittlungsaktivitäten, die in Baukulturreport und Regierungsprogramm gefordert wurden, im Rahmen der bisherigenAktivitäten weitergeführt und um ein Jahrbuch ergänzt, das die Preisträger der renommiertesten österreichischen Architekturpreiseinternational bekannt machen soll. Aufhorchen ließ im Frühjahr die Meldung über ein geplantes Architekturmuseum im Wiener Semperdepot, in dem die Bestände des Architekturzentrums mit der architektonischenModerne-Sammlung der Albertina zusammengeführt werden sollten. Dem Vernehmen nach sind die Planungen inzwischen fortgeschritten, ein offizielles Projekt hat die Öffentlichkeit von der Ministerin aber noch nicht präsentiert bekommen.

Zumindest als Entwurf existiert dagegen die Verordnung für die Einrichtung eines Baukulturbeirats, die derzeit zur Begutachtung aufliegt. Der Beirat wird im Bundeskanzleramt angesiedelt und soll 24 Mitglieder umfassen, teilweise Vertreter verschiedener Ebenen der öffentlichen Verwaltung, teilweise externe Experten. Als Forum für die Diskussion der Querschnittsmaterie Architektur über Ministerial- und Fachgrenzen hinweg wird ein solcher Beirat sicher helfen. Konkrete Ergebnisse kann er aber nur dann liefern, wenn er ausreichend dotiert ist und es auf Regierungsebene das nötige, möglichst nachdrückliche Interesse an der Sache Baukultur gibt.

Dieses Interesse darf ruhig – ganz populistisch formuliert – auf dem Gedanken aufbauen, dass Architektur glücklich macht, wenn sie gelingt: Glückliche Familien in leistbaren und schönen Wohnungen, deren Kinder einen sicheren Schulweg haben, sind kein geringes Ziel. Dass gute Architektur bei jedem Projekt auszuloten versucht, was gerade unter Glück und Schönheit zu verstehen ist, macht aus diesem populistischen Ziel am Ende doch wieder ein kulturelles.

Ob die radikalen Populisten unter den Politikern bereit sind, der Architektur so viel Freiraum zu lassen, ist fraglich. Sie profitieren ja von möglichst simplen und plakativen Glücks- und Schönheitsvorstellungen, deren zur Schau gestellte Befriedigung sie zur Schwungmasse ihrer politischen Karriere machen können. Architekturpolitik muss aber dort beginnen, wo es den Populisten langweilig wird: bei der mühsamen Definition von Spielregeln für die Bindung öffentlicher Gelder an qualitätssichernde Prozesse, bei der Verwaltungsreform, bei der spröden Materie einer zeitgemäßen Raumordnung, bei der Stärkung der Bauherrenkompetenz der öffentlichen Hand, beim allgemeinen Aufbau von Qualitätsbewusstsein. Um auch hier lohnende politische Ziele zu entdecken, muss man nur ein wenig den Kopf über den Tellerrand des Populismus heben. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2008)

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