Fels und Fluidum

Eine in Österreich wenig präsente Religionsgemeinschaft, die Neuapostolische Kirche, macht zusehends als ambitionierter Bauherr auf sich aufmerksam. Jüngst in Wien-Penzing.

Der beste Bauherr ist die Kirche“, hat vor etlichen Jahren ein Kärntner Architekt die Situation in seinem Bundesland umrissen. Er bezog sich natürlich auf die katholische Kirche und meinte damit, dass dort Akteure anzutreffen sind, die ihre Baupolitik nicht nach den Kriterien der Bequemlichkeit und des Populismus ausrichten. Der Grad des Kunstverstandes und die Auffassung von Baukultur sind natürlich – wie in der profanen Welt auch – im kirchlichen Bereich nicht allerorts gleich hoch ausgeprägt. „Die Kirche“ hat diesbezüglich aber noch immer einen guten Ruf, und eine Kirche zu bauen zählt zu den begehrten Bauaufgaben vieler Architektinnen und Architekten.

Für Susanne Veit-Aschenbrenner und Oliver Aschenbrenner, die seit 2001 das gemeinsame Büro Veit Aschenbrenner Architekten in Wien betreiben, zieht sich der Sakralbau wie ein roter Faden durch die berufliche Vita. Begonnen hat es für die beiden Bayern während des Studiums an der Technischen Universität München, wo sie mit Friedrich Kurrent in Kontakt kamen, der dort den Lehrstuhl für Kirchenbau innehatte. Aschenbrenner diplomierte bei ihm zum Thema „Kathedrale unserer Zeit“ mit einem „Haus der Gegensätze und der Einheit“ – einem Hyperboloid in der Wüste, von oben indirekt belichtet, außen glatt und maßstabslos, innen ein facettenreich strukturierter gerichteter Zentralraum.

Danach verschlug es die beiden nach Wien ins Atelier von Heinz Tesar – mit der Projektleitung der Kirche in der Donaucity. Es folgten ein paar Beteiligungen an Sakralbau-Wettbewerben mit dem eigenen Büro. Der erste Erfolg, eine Altarraumgestaltung in der Pfarrkirche von Mistelbach: Altar und Ambo als pure orthogonale Körper aus grob geschliffenem, strahlend weißem Marmor, schlichte Sedien aus unbehandeltem, gehobeltem Eichenholz; reduziert und doch sehr symbolgeladen.

Ihren ersten kompletten Kirchenbau verdanken Veit Aschenbrenner der Neuapostolischen Kirche, die sich im 19. Jahrhundert von England und Deutschland aus entwickelte, in Österreich, wo sie derzeit 5100 Mitglieder hat, aber erst 1975 staatlich anerkannt wurde. Drei Jahre zuvor baute man sich in Wien-Penzing an der Ecke Hochsatzengasse/Lautensackgasse eine von Anton Wiltschnig (1913–1977) geplante Kirche. Ein schlichter Bau wie alle Kirchen dieser Religionsgemeinschaft, der zuletzt schwer sanierungsbedürftig war. Als „Bezirkskirche“ für ganz Ostösterreich bot er an die 400 Sitzplätze, die nur bei den selten stattfindenden Bezirks-Gottesdiensten besetzt waren. Also entschloss man sich 2011 zum Abbruch des Altbaus und lud zum Architektenwettbewerb für einen passend dimensionierten Neubau, den Veit Aschenbrenner für sich entscheiden konnten.

Neuapostolische Kirchen sind in der Regel turm- und schmucklos. Als Erkennungszeichen nach außen fungiert nur das Kirchenemblem. „Eine typisch neuapostolische Kirchenarchitektur gibt es nicht. Der sakrale Hauptraum des Kirchengebäudes ist in seiner Gestaltung zentral auf den Altar als der Stätte der Wortverkündigung und der Feier des heiligen Abendmahls ausgerichtet. Nebenräume für gemeindliche Aktivitäten außerhalb der Gottesdienste stehen häufig zur Verfügung.“ Heißt es auf der Kirchenwebsite unter dem Stichwort „Kirchenarchitektur“.

Diese Vorgaben nahmen Susanne Veitund Oliver Aschenbrenner sehr ernst, konnten aber doch nicht umhin, in einem quasi barocken Gestus dem Bau skulpturale Zeichenhaftigkeit zu verleihen. Indem der kompakte Baukörper über dem Altarbereich in die Höhe gezogen wird, entsteht das Zitat eines Turms, das den Bau als Kirche dechiffrierbar macht. Erst von innen werden wir erkennen, dass dank dem erhöhten Teil eine grandiose Tageslichtregie im Kirchenraum gelingt und der von der Straßenseite bei flüchtiger Betrachtung so hermetisch wirkende Bau von einer besonders klugen Choreografie der Öffnungen gekennzeichnet ist.

Der Eingang liegt witterungsgeschützt in die Nordostecke eingeschnitten, durch das Foyer gibt es eine Blickachse zum Garten. Das Tageslicht fließt förmlich entlang der zehn Meter hohen, leicht geneigten Stirnwand, strömt durch die große Oberlichte über die Stirnwand in den Raum und bildet ein immaterielles Altarbild. Zu den Gottesdienstzeiten gibt es keine direkte Sonneneinstrahlung und das schönste – weil indirekte – Licht, betont Oliver Aschenbrenner. Die Bauweise aus dicken Dämmbetonwänden mit Schaumglasschotter als Zuschlag bringt mit sich, dass die Wandoberflächen außen und innen gleich sind, dazu entsprechend im ganzen Gebäude ein Boden aus geschliffenem Estrich. Natürlich drängt sich durch den monolithischen Charakter das biblische Bild vom Fels, auf dem die Kirche gebaut ist, auf. Das Mobiliar stammt selbstverständlich von den Architekten: ein Altarblock in der Materialität des Bodens, Bänke und andere Holzarbeiten in Eiche. Alles ist wohlüberlegt, präzis gesetzt und unterstützt das starke sakrale Fluidum des Raumes.

Auch in ihrer Tauglichkeit für das Gemeindeleben erweist sich die Kirche als robust. Das Begrüßen vor dem Gottesdienst hat in der Gemeinde einen hohen Stellenwert, dem das Foyer einen würdigen Rahmen bietet. Es ist Empfangsraum und zugleich Verteiler in die vielen Nebenräume: Nach oben geht es auf die Empore und zu einem Raum für Kinder mit Blickverbindung in den Hauptraum, beide mit Oberlicht. Räumlichkeiten für Unterricht und Verwaltung finden sich ebenso hier. Nach unten gelegt alles, was man zur Bewirtschaftung braucht – Technik, Lager, Küche, Sanitär – sowie ein schöner Mehrzweckraum, der dank halbgeschoßig abgesenktem Gartenterrain sich raumhoch nach Süden öffnet und ebenerdig ins Freie übergeht.

Mit der Penzinger Kirche hat sich die Glaubensgemeinschaft ein weiteres Mal als Auftraggeber ambitionierter Architektur bewiesen. Vor zehn Jahren schon ließ man sich in Zuchwil bei Solothurn in der Schweiz von den smarch Architekten einen exzentrischen Kirchenbau errichten, der an eine liegende, aufgestelzte Wärmeflasche erinnert und ob seiner räumlichen Qualitäten vielfach gewürdigt wurde. Und auch der vor anderthalb Jahren fertiggestellte Neubau in München-Laim von Haack + Höpfner ist von der feinen Sorte. Scheint ganz so, als würde die Minikirche sich mit den Mitteln der Architektur gegen die mächtigeren Mitbewerber behaupten wollen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2015)

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