Alles im grünen Bereich?

Ein im Stadtgebiet von Graz geplantes Flusskraftwerk würde die wild gewachsene Uferlandschaft der Mur durch Rodungen und Dammbauten weitgehend zerstören. Politik und Betreiber reden das schön. Nun fiel der Beschluss zum Bau.

Im Juni 2010 reichte die Energie Steiermark AG als Energieversorgerin im Mehrheitsbesitz des Landes Steiermark das Projekt eines Laufwasserkraftwerks zur Umweltverträglichkeitsprüfung ein. Als Kooperationspartner wurde der Verbund genannt. Als am besten geeignete Lage des Kraftwerks an der Mur, die Graz von Nord nach Süd durchzieht, wurde das südliche Stadtgebiet festgelegt. Mit der Realisierung des Kraftwerks wurde die gleichzeitige Errichtung eines zentralen Speicherkanals verknüpft, der die Entleerung überlaufender Abwässer in die Mur bei Starkregen kanalisieren soll.

Im August 2012 erteilte das Land Steiermark als erste Instanz im UVP-Verfahren die Genehmigung zum Bau des Murkraftwerks Puntigam. Der Umweltsenat des Bundes als Berufungsinstanz wies die darauf folgenden Eingaben von zahlreichen Umweltschutz- und Naturschutzorganisationen und Bürgern im Wesentlichen ab. Einzig einige weitere Auflagen, beispielsweise zum Schutz der im Uferbereich lebenden, geschützten Würfelnatter, wurden erteilt. So weit, so gut?

Keineswegs, denn schon die UVP zeigte, dass die Staustufe auf einer der letzten freien Fließstrecken von zehn Kilometer Flusslänge nur mit Ausnahmegenehmigungen zu gültigen Gesetzen und Verordnungen und mit aufwendigen Auflagen genehmigt werden kann. Zahlreiche Verstöße gegen das allgemeine Verschlechterungsverbot wurden so legitimiert – etwa die in der Folge notwendige Herabstufung der Wassergüte der Mur von gut auf mäßig –, weil aus dem derzeit frei durchs Stadtgebiet fließenden Gewässer ein Stausee wird, aufgestaut bis zur Höhe des Kunsthauses. Mit dem alles schlagenden Argument des höheren öffentlichen Interesses wurden Naturschutzgesetze und die Baumschutzverordnung außer Kraft gesetzt. Das Sachprogramm „Grünes Netz Graz“, das die Maßnahmen und Ziele für die städtischen Grünraume zusammenfasst, die im Stadtentwicklungskonzept und im Sachprogramm Grünraum per Gemeinderatsbeschluss festgelegt wurden, wurden in die Begutachtung der UVP nicht eingeschlossen, ja nicht einmal erwähnt.

Mit allen behördlichen Genehmigungen ausgestattet, hat der Betreiber nun diese Woche den Beschluss gefasst, das Kraftwerk zu errichten, und den Baubeginn noch im Winter angekündigt. Dies, obwohl nach dem Ausstieg des Verbunds und der verschobenen Beschlüsse der Wien Energie nun kein weiterer 50-Prozent-Investor an Bord ist. Offensichtlich soll das Kraftwerk um jeden Preis errichtet werden, trotz eines negativen Gutachtens zur Wirtschaftlichkeit und trotz einer von zahlreichen Umwelt- und Naturschutzorganisationen angestrebten Volksbefragung, die von der Stadtregierung im Herbst dieses Jahres mit dem Argument, dass alle Bewilligungen bereits erteilt sind, abgelehnt wurde. Auch die frühzeitige Neuwahl der Stadtregierung im Februar 2017 steht in direktem Zusammenhang mit dem Kraftwerksbau. Die notwendige Mehrheit für den Beschluss des Haushaltsbudgets wurde nicht erreicht, weil die Finanzierung des zentralen Speicherkanals, der fast so viel kosten würde wie das Kraftwerk und rechtlich gar nicht gebaut werden müsste, abgelehnt wurde.

Wer verstehen will, warum die Staustufe im Stadtgebiet von Graz von so vielen Organisationen abgelehnt wird, obwohl man der Wasserkraft doch generell zubilligt, dass sie zur sauberen Energiegewinnung zählt, muss bei den Auswirkungen der Baumaßnahme beginnen. Und er sollte sich persönlich ein Bild machen von jenem grünen Band, das als wildwüchsiger, forsttechnisch nicht genutzter Naturraum die Murufer südlich der Radetzkybrücke noch säumt. Tausende von Radfahrern – nicht nur jene, die den beliebten Radweg vom Mur-Ursprung bis zur slowenischen Grenze jährlich befahren – machen dies. Besonders das linke Murufer ist ein beliebter, vom Augartenpark bis zur Puntigamer Brücke durchgängiger Wanderweg von mehr als vier Kilometer Länge.

„Die räumliche Qualität der Stadt wird von ihren charakteristischen natürlichen undbaulichen Elementen und den daraus gebildeten Strukturen bestimmt“ (STEK 3.0). Was geschieht, wenn Bagger auffahren? 16.500 Bäume aller Größen, die gefällt werden müssten, wurden im November sachverständig gezählt, darunter 824 ökologisch wie stadtklimatisch bedeutende Bäume mit einem Umfang von mehr als 150 Zentimetern und Höhen bis 15 Meter – doppelt so viele, wie im Grazer Stadtpark stehen. Geschützte Tiere verlieren ihren natürlichen Lebensraum. Die dreijährige Bauzeit der Riesenbaustelle wird die Lebensqualität der Anrainer massiv beeinträchtigen. Biker, Läufer und Spaziergänger, die den Grünkorridor jeden Tag als Erholungsraum nützen, verlieren nicht nur während der Bauzeit ihren Naherholungsraum, sondern werden ihn auch danach nie mehr in seiner „unkultivierten“, naturnahen Form wiederfinden.

Experten bekräftigen: Was an mindestens 60 Jahre lang gewachsener Biotopfläche verloren geht, lässt sich auch mit allen angekündigten Maßnahmen zur Renaturierung der Uferbereiche nicht wiederherstellen, auch wenn der Amtssachverständige in seinem Gutachten in der UVP schreibt, dass sich „im Lauf der Jahre größtenteils wieder eine dem heutigen Erscheinungsbild gleichende Vegetation einstellen wird“. Diese auch zeitlich vage Behauptung stimmt schon deshalb nicht, weil in Zukunft auf den Dämmen aus Stabilitätsgründen nur Bäume bis 15 Zentimeter Stammdurchmesser erlaubt sein werden.

All diese Fakten sind in Graz kaum bekannt, auch weil die Stadt bei diesem Projekt ihrer Verpflichtung zur frühzeitigen Information, die in den „Leitlinien zur BürgerInnenbeteiligung bei Vorhaben und Planungen der Stadt Graz“ beschlossen wurden, nicht objektiv nachkommt. Ein Forum zur Meinungsbildung einzurichten war dem Bürgermeister kein Anliegen, war er doch schon vor dem Ergebnis der UVP in einem Werbeinserat der Betreiber an der Seite des damaligen Landeshauptmanns als Befürworter der Staustufe zu sehen. Erstaunlich, denn noch 2009 hatte er sich skeptisch zu vier damals geplanten Kraftwerken an der Mur nördlich und südlich von Graz geäußert. Der jetzt beschlossene massive Eingriff in das Stadtbild ist das Ergebnis politischen und nach Gewinn strebenden Kalküls. Das darf nicht sein.

Was zählt, ist, dass die Stadt mit der dichten Uferbepflanzung einen sie charakterisierenden, erhaltenswerten Landschaftsraum verlieren wird. Dass Graz, 2015 erneut Österreichs Feinstaubhochburg, ökologisch hochwertigen Grünraum innerhalb seiner Stadtgrenzen dringend braucht, um die schlechte Luftgüte auszugleichen und das örtliche Kleinklima zu erhalten. Auch die derzeit massive bauliche Verdichtung der Stadt mit täglich neuem Verlust an innerstädtischem Grünraum kann mit einem klaren Bekenntnis für den Erhalt des unantastbaren Naturraums kompensiert werden. Müsste sein Schutz daher nicht gerade in Graz als gleichwertig hohes öffentliches Interesse gesehen und diskutiert werden? ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2016)

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