Univ.-Prof. Dr. habil. MMag.

Die Wiener Universität tritt prominent in zwei Büchern auf: in Isabel Bernardis Krimi „Vatermord“ und in dem Band zur Würdigung des Historikers Friedrich Katz. Fiktion und Wirklichkeit Hand in Hand.

David Lodge, englischer Meister des Universitätsromans („campus novel“), begleitete mich mit seinen leichten, schwebenden Geschichten öfter auf Transatlantikflügen. Dieses literarische Gen- re nimmt sich liebenswürdig den angloamerikanischen Universitätsbetrieb vor, augenzwinkernd, boshaft, Amouren nicht abgeneigt, aber nie bösartig. Heimito von Doderer muss es gereizt haben, eine österreichische Variante auszuprobieren. „Die Merowinger“ aus dem Jahr 1962 bewegen sich im Umfeld des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung (Veteranen können immer noch die persiflierten Professoren identifizieren), doch sein grimmiger Humor schreckte Nachahmer ab – zumal eine Figur entmannt wurde.

50 Jahre später versucht es ein Autorenkollektiv erneut – mit einem „Vatermord“ und gleich zwei Toten. „Isabel Bernardi“ scheint der Deckname für die literarischen Inspiratoren des „Ersten Wiener Uni-Krimis“ zu sein, der auch schon im Café Korb herumgegeistert ist. Infolge der genauen Objektbeschreibung scheinen sie alle im Umfeld des Instituts für Geschichte zu agieren. Sie kennen daher bestens Interna, sogar die – streng geheimen – Debatten in einer Berufungskommission. Während in der angloamerikanischen „campus novel“ Bösartigkeiten nur am Rand vorkommen, trieft dieser Text davon. Im Institut wird intrigiert, verschleiert, aufgedeckt, plagiiert, denunziert. Es dominiert die Todsünde Neid. In der Schlangengrube des Instituts gibt es keine Solidarität, sondern nur schleimige Konkurrenz. Wer Ordinarius werden will, muss sich – im Bonmot eines Mitspielers – auf dem „Lehrstuhl für angewandte Freunderlwirtschaft“ bewähren.

Dem Autorenkollektiv, protokollarisch genau alle Stiegen der Universität benennend, gelingen gelegentlich humorvolle Beschreibungen; man weiß genau, wie man einen Krimi bauen muss, kann ihm aber kein pulsierendes Leben einhauchen. Besonders krass misslingt der Kunstgriff mit der reichlich tumben Kommissarin, der Assistent Martin Heiser alle Interna des Universitätsbetriebs erklären muss. (Studentische Erstsemester können davon profitieren.)

Neben einer schönen Polin stirbt der Institutsvorstand o. Univ.-Prof. Dr. habil. Dr. hc. MMag. Josef Amblic, vergiftet nicht etwa vom Mitbewerber Johannes Hochgruber (dessen Alibi einem Swingerklub entspringt), sondern – in Zeiten der Gender-Offensive – natürlich von der Professorin Petra, welche das autoritäre Gehabe des Chefs nicht mehr erträgt. Manchem Leser wird es am Ende dieser universitären Mikrohölle grausen. Von Versöhnlichkeit keine Spur. So weit die Sittengeschichte der Universität als Fiktion. Freilich, die Wirklichkeit, als Non-Fiction, ist genauso. Es geht hier um den Band, der sich mit dem Leben und Werk des unlängst verstorbenen Amerikanisten Friedrich Katz von der University of Chicago beschäftigt. Dabei spielt im einleitenden Beitrag der Chefeditorin Martina Kaller der Lateinamerika-Lehrstuhl am Institut für Geschichte der Universität Wien (inspiriert von Katz) eine Rolle.

Unabdingbar ist das Wissen um einen geheimen Subtext, den aber alle Eingeweihte kennen. Der lange vakante Posten sollte endlich nachbesetzt werden. Frau Kaller, seinerzeit meine Assistentin, bewarb sich, landete aber abgeschlagen auf dem zweiten Platz. Es wurde mit ihr nicht verhandelt. In der Folge entbrannte die Lokalmatadorin in heiligem Zorn, was ein wüstes Intrigenflammenmeer entzündete und dem Lehrstuhl apokalyptisch einen „Absturz ins Nichts“ prophezeite. Somit erbrachte diese Einleitung eher ein weiteres Sittenbild der Universität Wien denn eine Hommage für den Österreicher Katz.

Die restlichen – soliden – Texte versuchen, Katz umfassend zu würdigen. In Katz spiegeln sich alle Widersprüche und Schrecken des vergangenen Jahrhunderts wider: Flucht mit den jüdisch-kommunistischen Eltern vor den Nazis nach Mexiko, nach dem Krieg doch Doktorat in Wien, Übersiedlung in die DDR und schließlich, als Erfüllung eines Gelehrtenlebens, die mit Forschungsgeldern reich bestückte Professur an der University of Chicago, wo Katz seine grandiosen Werke über die mexikanische Revolutionsgeschichte schreiben konnte.

Besondere Aufmerksamkeit verdient der Essay von David Mayer, einem starken Talent unter Wiens jungen Historikern. Er macht verständlich, wie wichtig für Katz' Genese die Durchgangsphase in der DDR war, wo er bei den dortigen Sozialhistorikern, am Rande kommunistischer Orthodoxie, begrifflich das Werkzeug erwarb, das in Chicago so fruchtbar werden sollte.

Trotz des im Text gern verwendeten Satzes „Katz: zweimal aus Wien vertrieben und in Österreich vergessen“ (der so nicht stimmt, siehe etwa die eleganten Artikel von Erich Hackl, der im „Spectrum“ immer wieder an den antifaschistischen Kampf der Familie Katz erinnerte) blieb Friedrich Katz Wien in versöhnlicher Abgeklärtheit verbunden. Gegen Ende meiner eigenen Professur schlug ich der Wiener Universität vor, Katz zumindest mit dem „Goldenen Doktordiplom“ zu ehren.

Natürlich gab es Zustimmung, indes die Finanzierung des Flugtickets Chicago–Wien für das Ehepaar Katz blieb aus. In-
folge dieser akademischen Schäbigkeit bettelte ich bei der Stadt Wien um das Geld, das auch bewilligt wurde. (Danke, Hubert Christian Ehalt!) Daher fand die Zeremonie nicht an der Universität, sondern im Rathaus statt. So saßen wir vor Veranstaltungsbeginn im „Roten Salon“, in dem ein riesiges Porträt von Karl Lueger – großer Bürgermeister und großer Antisemit – hängt. Friedrich Katz, der Wiener Jude, zeigte auf das Bild und kommentierte ironischerweise: „Schau mal, ich bin immer noch da.“

Übrigens heißt der Dr.-Karl-Lueger-Ring inzwischen politisch korrekt „Universitätsring“. Friedrich Katz hätte wieder einmal lachen können. ■



Isabel Bernardi
Vatermord

Der erste Wiener Uni-Krimi.
192 S., brosch., €18,50 (Königshausen & Neumann Verlag, Würzburg)

Martina Kaller, David Mayer, Berthold Molden (Hrsg.)
Friedrich Katz

Essays zu Leben und Wirken eines transnationalen Historikers. 118 S., brosch., €23,50 (Peter Lang Verlag, Frankfurt/Main)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.