Ordentlich durcheinander auf dem Boden

Arrangement und Anarchie: Franz Xaver Hofers Gedichtband „Augenabschied“, herausgegeben aus dem Nachlass. Besonders schmerzlich im schmerzlich dahingegangenen Jahr 2012 war mir der Verlust dieses großen oberösterreichischen Schriftstellers und Kunstkenners.

Franz Xaver Hofers Nachdenklichkeit, seine Empfindsamkeit, sein wacher Sinn, sein tiefes Kunstverständnis, seine Begabung zur Freundschaft, sein Bedürfnis nach Bewegen und Innehalten, sein Wissen um das Beschwerliche, Sehnsuchtsvolle unseres Daseins... Besonders schmerzlich im schmerzlich dahingegangenen Jahr 2012 war mir der Verlust dieses großen oberösterreichischen Schriftstellers und Kunstkenners. Franz Xaver Hofer starb am 9. Juli, viereinhalb Monate vor seinem 70. Geburtstag, und immer noch halte ich unwillkürlich Ausschau nach seiner hohen, hageren, ein wenig vorgebeugten Gestalt, ist mir, als hörte ich ihn sprechen, langsam, wie es seine Art war, in dem halb bedächtigen, halb gelassenen Tonfall.

Das Glück im Unglück seines Todes, das sind die Bücher, die zu seinen Lebzeiten erschienen sind, und die anderen, die nach dem Willen seiner Frau, der Malerin Helga Hofer, noch erscheinen werden. Denn in seinem Werk tritt das Wesen dieses Künstlers unverfälscht zu Tage. Das gilt auch für den Gedichtzyklus „Augenabschied“, den Hofer noch im Krankenhaus fertiggestellt hatte. In der poetologischen Skizze, die den Zyklus begleitet, hat er geschrieben: „Ich gehe mit mir selbst herum, öffne mich der Erfahrungswelt und umkreise mich dabei, beobachte mich als Beobachter der sogenannten Natur, als Hersteller und Veränderer des Sinns von Wirklichkeiten, und verzichte absichtlich auf die Mittel logisch schlüssiger, zwingender Gedankengänge.“

Rühmenswert an diesen Gedichten ist die Tatsache, dass in ihnen jemand ständig mit den eigenen Wahrnehmungen beschäftigt ist und trotzdem frei bleibt vom Schwachsinn der Egomanie. Dass sie von einem heiteren Eigensinn erfüllt sind, der manchmal ein wenig ungelenk oder starrköpfig wirkt, was das Lesevergnügen erhöht. Dass sie, ohne Ausnahme, soziale Gedichte sind, ganz unabhängig davon, welche Abwege ihr Verfasser beim Sinnieren über das Befinden von Sträuchern oder Insekten genommen hat.

„Ohne Öffentlichkeit. Ungesehen“

Franz Xaver Hofer hat reine Gedanken-lyrik geschrieben, und doch sind seine Gedichte gegenständlich wie die von Theodor Kramer oder Tonio Guerra. Er war nicht versucht, Natur – oder das, was als „Natur“ erscheint – über die sogenannte Zivilisation zu stellen; aber sie bot ihm eine Seelenlandschaft, die passende Umgebung, um Erfahrungen zu machen und sich aufgehoben zu fühlen. „Neben dem selten benutzten Weg / ist ein Platz für Rückzug. / Das Scheue hält sich hier auf. / Was die Kraft hat, einzeln zu leben. / Ohne Öffentlichkeit. Ungesehen.“

Man möchte wie Hofer den Waldboden schon deshalb beäugen, weil es auf ihm „ordentlich durcheinander“ geht. Arrangement und Anarchie sind diesem Dichter also nicht Gegensätze gewesen, sondern Koordinaten, auf denen sich die Fülle des Lebens entfaltet. Eines Lebens, dessen Wonnen ihn veranlasst haben, einen innigen „Bleibe-Wunsch“ zu äußern:„Roggenfelder auf den Hügeln mögen / weiter den Leib unter der Sonne wärmen. / Die sattbraunen Brotfluren sollen /als Fladen in der Landschaft liegen bleiben. / Die Sommertage sollen dauern, / immer anhalten, nie vergehen. / Für diese ist hier immer Platz.“ ■

Franz Xaver Hofer

Augenabschied

Gedichte. 102S., brosch., €12 (Kulturverein Landstrich, Brunnenthal)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2013)

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