Rache, nicht Recht

Ein Mann nimmt das Gesetz selbst in die Hand. „Zeig dich, Mörder“: Es ist ein altes Western-Thema, das Louis Begley in seinem Roman anpackt. Überzeugend ist aber mehr der Einblick in die Welt der Staranwälte als der Aufruf zur Lynchjustiz.

Dies ist eine wahre Geschichte“, beginnt Begley, der mit seinem im Alter von 56 Jahren geschriebenen ersten Roman, „Lügen in Zeiten des Krieges“, einen Weltbestseller gelandet hat, sein jüngstes Buch mit einer beliebten Schriftstellerlüge. Die vom Suhrkamp-Verlag herausgebrachte deutsche Übersetzung erscheint ungewöhnlicherweise drei Monate vor dem Original, „Killer, Come Hither“, auf das man noch bis April warten muss.

„Was ich getan habe, würde ich ohne jedes Zögern wieder tun“, erfährt man weiter vom Ich-Erzähler, der sich nicht auf das Strafrecht verlassen wollte, das mit einem Mörder Strafmilderung gegen Schuldbekenntnis auszuhandeln pflegt. Somit ist schon auf der ersten Seite klar, worum es gehen wird: Ein Mann nimmt das Gesetz selbst in die Hand, ein klassisches Westernthema.

Jack Dana heißt der Held, der eine reizvolle Wasp-Biografie (White Anglo-Saxon Protestant) offenlegt, in der sich akademische Kultiviertheit und schonungslose Grausamkeit die Waage halten. Als ehemaliger Offizier der Marineinfanterie hat er das Töten gründlich gelernt und auch bei seinen Einsätzen im Irak und in Afghanistan nie Skrupel dabei empfunden. Der Sohn eines Philosophieprofessors in Harvard und einer Flötistin im Bostoner Kammerorchester begann seine Karriere allerdings mit einem Studium der „griechischen und römischen Alten Geschichte“, das von einer „revisionistischen Studie über den Sizilien-Feldzug der Athener“ gekrönt werden soll. Die Eltern sindmittlerweile verstorben, sein Onkel Harry ist sein einziger lebender Verwandter.

Dieser ist – wie Begley selbst es war – Wirtschaftsanwalt in einer großen Kanzlei mit dem sprechenden Namen „Jones & Whetstone“ („Schleifstein“). Die Ereignisse des 11.September 2001 führen dazu, dass Jack sein Harvard-Stipendium nicht mehr antritt, sondern zur Armee geht, um „seinem Land zu dienen“. Dabei besinnt er sich auf die Familientradition: Während der Großvater noch bei der Befreiung Europas Orden erwarb, diente der Philosophenvater aus voller Überzeugung im Vietnam-Krieg – nur Onkel Harry hatte sich gedrückt.

Trotzdem gibt er Jack seinen Segen, als dieser zum Schurkenschlachten in weit entfernte Länder aufbricht, und als er nach einer Verwundung seine zweite Karriere als Buchautor beginnt, nutzt Harry seine Kontakte, um den Neffen groß rauszubringen. Er vermittelt ihm auch einen Schreibaufenthalt auf einer einsamen Ranch in Mato Grosso, wo Jack bei Schießübungen wieder in Form kommt und nebenbei erfährt, wie der Verwalter der Ranch mit dem Mörder seines Vorgängers verfahren ist: Er lockte ihn auf seine Veranda und brachte ihn aus dem Hinterhalt um, offiziell in Notwehr und damit straffrei. Rache zu nehmen gehöre zum Ehrenkodex jenes brasilianischen Landstrichs, sonst würde man nicht für voll genommen.

Als Jack nach New York zurückkehrt, lebt sein Onkel nicht mehr. Angeblich hat er sich infolge beginnender Demenz und daraufhin einsetzender Depressionen in seinem Haus auf Long Island erhängt und zuvor noch seinem geliebten Kater Plato das Genick gebrochen. Da ist natürlich etwas faul, und Jack beginnt mit seinen Nachforschungen. Praktischerweise entdeckt er in einem Sofaspalt ein iPhone, das die letzten Minuten des Onkels aufgenommen hat. Darauf ist zu hören, wie Harry von einem bestialischen Auftragskiller mit serbischem Akzent gefoltert und ermordet wird.

Ab nun steuert alles auf Rache zu: Dem Auftraggeber muss das Handwerk gelegt und dem Killer nach brasilianischem Vorbild eine Falle gestellt werden, bei der er „in Notwehr“ getötet wird. Dabei zur Seite stehen Jack die schöne und liebeshungrige Anwältin Kerry sowie sein Jugendfreund Scott, der hilfreicherweise für eine paramilitärische Spezialeinheit der CIA arbeitet. Es darf verraten werden, dass das Unterfangen gelingt, denn Jack selbst hat es ja bereits verraten. Begleys Stil wurde oft als „kühl und elegant“ gerühmt, und das ist er auch hier. Es ist die sorgfältige, nüchterne Sprache, mit der es ihm trotz der schwierigen Romankonstruktion gelingt, die Spannung aufrechtzuerhalten und den facettenreichen Helden zum Leben zu erwecken. Man erfährt interessante Details aus dem Milieu der Staranwälte und Wirtschaftsmogule, Intrigen und Machenschaften, die bis in die Politik hineinreichen. Begley zeichnet das Sittenbild einer Gesellschaft, die seit 1945 im Grunde nicht aus dem Krieg herausgekommen ist. In jeder Generation gibt es Veteranen, eine von Harrys Hausangestellten hat ihren Mann im Irak verloren. Das Klima oszilliert zwischen Wohlstand und Angst, Zivilisation und Unmenschlichkeit.

Es sind diese Qualitäten, die über Schwächen im Plot hinwegsehen lassen: Es fehlen zu einem kriminalistischen Labyrinth die Irrwege und Sackgassen, das Fiebern auf falschen Fährten, das Rätseln und Raten. Jeder Verdacht bestätigt sich, und wie im Western sind die Guten einwandfrei gut, die Bösen aber so böse, dass sie eigentlich schwarze Hüte tragen müssten. Der serbische Auftragskiller Slobo gar entstammt jener Mörderbande, die unter Milošević für ethnische Säuberungen zuständig war. Er hat eine Narbe im Gesicht und stinkt nach Zigaretten. Seine Sprache ist unter jeder Kritik: „Verfickter Schwuler. Ja, ich kill Katze. Fick Katze auch, aber Arschloch zu eng.“ Im Grunde ist Slobo kein richtiger Mensch, sondern eine primitive Bestie, was es moralisch problemlos macht, ihn grausam abzschlachten. Da er den IQ einer Amöbe hat, hat Jack dabei auch ziemlich leichtes Spiel. Als ethisches Korrektiv fungiert allein Kerry, die für Lynchjustiz nichts übrig hat und Jack nach seinem Geständnis verlässt.

In einem Interview verrät der 1933 geborene Begley, wie er zu dem Stoff für diesen Thriller gekommen ist: Er selbst besitzt ein einsames Haus auf Long Island, wo er mit seiner Frau und seiner Katze lebt. Nachts fürchtet er sich vor Einbrechern, denen er als alter Mann hilflos gegenüberstehen müsste. Das Gefühl der Ohnmacht, das in einer Auge-um-Auge-Mentalität Entladung sucht, findet sich aber auch an anderer Stelle in Begleys Biografie. Denn bevor er zum überzeugenden Chronisten der amerikanischen Ostküsten-Upper-Crust wurde, war er selbst Opfer einer „ethnischen Säuberung“. Als Jude im damals polnischen Stryi geboren, musste er als Kind vor den Nazis fliehen. In den Fünfzigerjahren kam er als US-Soldat nach Deutschland und freute sich über zerbombte Städte: „The more ruins I saw, the happier I was!“

„Zeig dich, Mörder“ ist zu nahe an der Realität geschrieben, als dass man seine politischen Implikationen vollkommen vergessen könnte. Es eher als psychologische Bewältigungsstrategie zu lesen denn als Plädoyer für Lynchjustiz eines von der Rechtsstaatlichkeit enttäuschten Anwalts hilft, etwas von dem Unbehagen, das es auslöst, zu verdauen. ■

Louis Begley

Zeig dich, Mörder

Roman. Aus dem Amerikanischen von Christa Krüger. 302S., geb., €20,60 (Suhrkamp Verlag, Berlin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.