Besitzer und Besatzer

Mit 17 wanderte Tuvia Tenenbom in die USA aus und gründete ein Theater. Später kehrte er nach Israel zurück und erforschte seine alte Heimat undercover. „Allein unter Juden“: eine wallraffinierte Polemik, entlarvend, provokant.

Tuvia Tenenbom, bekannt geworden durch die 2012 erschienene „Entdeckungsreise“ „Allein unter Deutschen“, hat sich zu einer neuen Reise – diesmal kreuz und quer durch Israel – aufgemacht, über die er in „Allein unter Juden“ berichtet. Selbst aus einer orthodoxen Familie in Israel stammend, ist er mit 17 Jahren nach Amerika ausgewandert und erforscht nun als „Meisteragent“, wie er sich nennt, seine alte Heimat. Er besucht israelische Linke, Knesset-Abgeordnete und orthodoxe Rabbiner, aber er ist nicht nur allein unter Juden, sondern trifft auch Palästinenser und Ausländer, die für von der EU finanzierte NGOs arbeiten.

Mit Witz und besonders talmudischem Scharfsinn entlarvt er bei seinen Gesprächspartnern Antisemitismus und Israel-Feindlichkeit. Oft verwickelt er sie in Widersprüche, bis sie wütend werden. Der Pfiff in Tenenboms Vorgehen ist, dass er immer wieder in verschiedene Rollen schlüpft, um die ungeschönten Ansichten zu entlarven. Bei den Treffen mit Palästinensern gibt er sich gerne als „Tobi, der Deutsche“ aus, was zur Folge hat, dass man ihn mit offenen Armen empfängt und ihm erklärt, dass die Deutschen das einzig Richtige mit den Juden gemacht hätten. Und aus lauter Liebe zu den Deutschen gibt ihm einer sogar den Namen Abu Ali, wie die Palästinenser Hitler nennen.

Tenenbom berichtet zum Beispiel von einer Palästinenserin, die israelische Staatsbürgerin und Christin ist und fünf Jahre an der Jerusalemer Akademie für Musik Gesang studiert hat. Sie erzählt ihm, dass sie ihre deutsch-jüdische Musiklehrerin zunächst ihre „Mutter“ genannt hat. Umso überraschender ist es, dass sie nach ihrem Studienabschluss den Kontakt zu ihr abgebrochen hat, weil diese nun in ihren Augen eine „Besatzerin“ ist. Gefragt, ob sie sich je in einen Israeli verliebt habe, antwortet sie, das könne sie nicht. Das wäre so, als würde eine Jüdin sich in einen Nazi-Offizier verlieben. Sie erzählt, dass das Leben unter den „Besatzern“ furchtbar sei und die Juden fast ihre Tochter getötet hätten, da die Soldaten sie nicht durcheine Straßensperre ließen und sie ihr Baby im Auto stillen musste. Nicht nachvollziehbar ist dies für sie ein Beinahemord.

Oder: Ein Palästinenserführer behauptet, Israel sei rassistisch, faschistisch und expansionistisch, und fügt hinzu, es wäre gut gewesen, wenn Rommel sein Ziel erreicht hätte, „wir hätten das ganze Land gehabt“, weil kein Jude überlebt hätte. Ein anderer Palästinenser will Tenenbom weismachen, die Israelis würden verhindern, dass Palästinenser ein Haus besitzen. Nach einer Weile stellt sich jedoch heraus, dass er selbst sowohl ein Haus in Ostjerusalem als auch einesim Stadtteil Schuafat besitzt.

Selbst für einen Journalisten des liberalen Blatts „Haaretz“ sind Israelis brutale und kriminelle Besatzer. Er kann zwar kein Arabisch, schreibt aber stets über die üblen Dinge, die Israel angeblich den Palästinensern antut – ohne die Sprache seiner Gewährsleute zu verstehen. Auch habe er nur israelische und keine palästinensischen Freunde. Über palästinensische Menschenrechtsverletzungen zu berichten sei dagegen nicht seine Aufgabe. Für Tenenbom ist das ein klarer Fall von jüdischem Selbsthass.

Bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung spricht Tenenbom einen Norweger an, der als Konfliktbewältigungsexperte teilnimmt. 90 Prozent der Norweger stünden aufseiten der Palästinenser, weil sie Israel für einen rassistischen Apartheidstaat hielten, sagt er. Er selbst denke genauso. Die Norweger hätten immer schon ein Gespür für die Leiden ohnmächtiger Minderheiten gehabt. Als Tenenbom ihn auf das Verhalten der norwegischen Regierung Quisling im Zweiten Weltkrieg hinweist, wird er nervös.

Oder: Tenenbom schließt sich einer Gruppe junger italienischer Touristen an,deren Reise von einer Friedensorganisation organisiert und größtenteils von der Europäischen Kommission finanziert wird. Der Reiseleiter, der sich selbst als „Exjude“ bezeichnet, führt die Gruppe durch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Er zieht Parallelen zwischen den Nazis von damals und den Israelis von heute und betreibt so eine bösartige, aber effektvolle Propaganda. Wie es möglich sei, dass eine von der EU finanzierte Reise so jemanden als Reiseleiter anstelle, fragt sich Tenenbom. Der Selbsthass dieses „Exjuden“ übertreffe noch jenen aller anderen sich selbst hassenden Israelis, bemerkt Tenenbom lakonisch.

Will Tenenbom schöne Palästinenserhäuser fotografieren, versucht man, ihn daran zu hindern, um ihm zu zeigen, wie sehr die Israelis den Palästinensern das Leben zur Hölle machen – schöne Häuser passen da nicht ins Bild. Oder: Ein palästinensischerBauer erzählt, dass israelische Siedler die Dorfbewohner töten würden. Auf die Frage, wie viele bisher getötet worden seien, antwortet er: Zwei – einer 1999, einer 2000.

Tenenboms Buch mag manch einem einseitig vorkommen. Das ist es auch. Dabei werden die Einseitigkeit und die Selektivität noch durch seinen bissigen Humor betont. Aber gerade dadurch ist es geeignet, blinde Flecken in der eigenen Wahrnehmung zu erkennen und eine lebhafte Diskussion anzustoßen. Herausgekommen ist ein provokantes Buch zu einem brisanten Thema, das sich flott und unterhaltsam liest. ■

Tuvia Tenenbom

Allein unter Juden

Eine Entdeckungsreise durch Israel.
Aus dem Amerikanischen von Michael Adrian. 474S., Tb., €17,50 (Suhrkamp Verlag, Berlin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2015)

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