Ivanjis Banat-Roman: Das Erbe der Väter abstreifen

Ergreifend: Ivan Ivanji verknüpft fünf Generationen einer Banater Familie im 20. Jahrhundert.

Großbetschkerek, Nagybecskerek, Petrovgrad, Zrenjanin. Eine Stadt, vier Namen. Rotbart, Radvanji, Radovan, Radvan. Eine Familie, vier Namen. Bewegte Zeiten haben die Gewalt, auch Namen zu verändern. Das Banat kennt eine wechselvolle Geschichte. Der dort geborene Schriftsteller Ivan Ivanji lässt seine Heimat und ihr Schicksal während eines Jahrhunderts in fünf Generationen einer jüdischen Familie Fleisch werden – und damit konkret und berührend.

Samuel Rotbart, Gasthaus- und Gutsbesitzer im kleinen Perlez, ist noch ein treuer Untertan der k. u. k. Monarchie. Sein Sohn Leopold, Tierarzt, ist überzeugter Ungar und lässt seinen Namen auf Radvanji ändern. Dessen Sohn Ferko muss im Ersten Weltkrieg als Fähnrich des Habsburgerreichs in Albanien kämpfen. Er arrangiert sich danach mit dem Leben im neuen Königreich. Im Zweiten Weltkrieg arbeitet er als Arzt für die Partisanen Titos. Sein Sohn Rudolf kämpft im Untergrund – doch beide wissen währendder Kriegsjahre nichts voneinander.

Mit Rudolfs Sohn Goran versucht sich schließlich ein junger Mann, der die Welt schon früh kennengelernt hat, von den Ideologien und politischen Zwängen seiner Vätergenerationen zu emanzipieren. Daher rührt auch der Buchtitel, „Schlussstrich“, der nichts mit der in unseren Breiten damit verbundenen politischen Bedeutung zu tun hat.

Oder doch? Es geht ja jeweils darum, ob man das Erbe der Väter abstreifen kann. Goran will zwar zuerst die Familiengeschichte aufarbeiten, kommt dann aber zu dem Schluss, einen völligen Neubeginn zu machen. Doch wie sieht er aus?Ivanji lässt es offen, er skizziert einen zwar sympathischen, aber von Weltanschauungen unbelasteten Erfolgsmenschen, der letztlich in seiner Persönlichkeit blass und weit weniger konturiert erscheint als seine männlichen Vorfahren.

Eingebettet in Zeit und Sitten

Sie alle waren sehr wohlhabend, stets auch sozial und nie herablassend. Ihr Judentum hatte keiner von ihnen gepflegt, sie lebten durch und durch profan. Die fünf Männer dieses 20. Jahrhunderts mit ihren Wurzeln im Banat schildert Ivan Ivanji auf eine sehr liebenswürdige Art. Mitunter allzu liebenswürdig, manchmal hätte ein Adjektiv weniger dazu beigetragen, die so angenehme Distanz des Chronisten für den Autor zu wahren.

Dennoch ist ihm ein beachtliches Werk gelungen: Er verknüpft meisterhaft Schicksale, lässt Beziehungen glücken und scheitern, große und kleine Tragödien geschehen, Eigenarten, Krankheiten, berufliche Erfolge und private Misserfolge. Das macht Ivanjis Roman so unkonstruiert, so, als hätte er ein beliebiges Segment aus dem endlosen Schauspiel Leben geschnitten, um es wie einen Film vor unseren Augen abrollen zu lassen.

Dabei zeichnet er die fünf Männer mit ähnlichen Charakterzügen, Angewohnheiten und trotzdem durchaus unterschiedlich, was ebenso Kunst wie realistisch ist. Ivanji begleitet diese liebenswerten Menschen durch die sich verändernde Gesellschaft, die Schrecken der Naziherrschaft, ohne dort schwerpunktmäßig zu verweilen, bis hin zum Zerfall Jugoslawiens, dessen grausame Transformation er überraschend nur mit einem Satz erwähnt. Gleichzeitig schaut er nicht in arrogant-westlicher Manier auf den Balkan als zurückgeblieben, sondern malt das warmherzige Bild einer gleichsam selbstverständlich multikulturellen Welt, die von Generation zu Generation mehr verloren geht. ■

Ivan Ivanji

Schlussstrich

Roman. 332 S., geb., € 24 (Picus Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2017)

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