8000 Granaten und kein Held

Melinda Nadj Abonji erzählt von Erwartungen und von Menschen, die diese nicht erfüllen können oder wollen. Der Jugoslawienkrieg als Nährboden für das Scheitern und Folie für die Geschichte einer Diskriminierung.

Der Roman „Schildkrötensoldat“ erzählt die Geschichte von Zóltan, der als Bäckerlehrling so verprügelt wurde, dass er wenig später „wie ein Mehlsack“ bewusstlos vom Rücksitz des väterlichen Motorrades fällt. Dieser Tag sei, so der Vater wiederholt, der Anfang vom Ende gewesen, denn da habe bei Zóltan „das Zittern angefangen“. Die Sprache eines medizinischen Gutachtens beschreibt sein Verhalten als „infantil und für andere unerklärlich“. Die Geschichte seines Andersseins, seiner Einberufung in die Jugoslawische Volksarmee und seines Todes wird aus zwei Perspektiven erzählt: jener Zóltans und der seiner Cousine Anna, die in der Schweiz lebt. Nach dem Tod ihres Cousins fährt sie zurück in ein Zwischenland, das einmal Jugoslawien war und heute Serbien ist, um zu erkunden, wann Zóltans Sterben begonnen hat.

Wenn Anna zu Besuch kam, zogen sich die beiden stets in Zóltans Scheune im elterlichen Garten zurück, wo er in „Schachtelwelten“ Fundstücke sammelte: Mohnblumenkapseln, Käferpanzer, Falter, Quarze, Schneckenhäuser. Dann ordneten die beiden stundenlang die Dinge um, ließen sie „auf Wanderschaft gehen, um herauszufinden, wo, in welcher Nachbarschaft sich die einzelnen Dinge am wohlsten fühlten und am schönsten aussahen“. So führt auch der Roman die Lebensläufe von Menschen vor, die nicht die Freiheit und die Möglichkeiten haben, sich selbst einen passenden Ort zu suchen: Abonji erzählt von Erwartungen und von Menschen, die diese nicht erfüllen können oder wollen.

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