Seltsame Katzen, skurrile Figuren

Das Verdauungstalent einer asiatischen Katze – deren innere Säfte den Kaffeebohnen ein spezielles Aroma verleihen – wollen zwei Desperados ökonomisch nutzen. Mit Erfolg? Nicht die Bohne. Zu Andrea Grills Roman „Das Schöne und das Notwendige“.

Zwei seltsam skurrile Figuren (Fiat und Finzenz, dazu später) bevölkern das neue Buch von Andrea Grill. Noch viel seltsamer ist das Tier, um das sich die beiden kümmern. Der Fleckenmusang (zoologisch: Paradoxurus hermaphroditus) ist ein circa 50 Zentimeter langer und bis zu vier Kilo schwerer Vertreter der Familie der Schleichkatzen. In Südostasien, wo das herzige Vieh lebt, dringt es in Plantagen ein und verspeist die reifsten Kaffeekirschen. Diese scheidet die Katze dann in kompakt zusammengeballten Ladungen wieder aus. Im Verdauungstrakt des Tieres findet eine Fermentation statt, die den Bohnen, die gewaschen und geröstet in den Handel kommen, ein besonders dunkles und volles, aber auch etwas muffiges Aroma verleiht.
Feinschmecker in aller Welt (und wer will, findet Bezugsquellen auch in Österreich) schätzen den Geschmack. „Kopi Luwar“ nennt sich das teure Gebräu nach den beiden indonesischen Worten für „Kaffee“ und „Katze“. Korrekt, wie das Deutsche ist, findet sich die Bezeichnung hier gerne auch zu s-9;0„Katzenkackkaffee“ erweitert. Aber nur keine sAngst: Niemand muss (wie zum Beispiel auch Jack Nicholson in dem Film „Das Beste kommt zum Schluss“) den besonderen Saft getrunken haben, um sich an Andrea Grills Buch zu erfreuen, denn der Text funktioniert auch so: ein Schelmenroman, an den die 1975 in Bad Ischl geborene Autorin mit jener beherzten Unbeschwertheit herangegangen ist, die schon in ihren bisherigen Büchern („Der gelbe Onkel“ und „Tränenlachen“) zu bemerken war.
s-6;-6In „Das Schöne und das Notwendige“ nun (was für ein schöner unnotwendiger Titel) versuchen Fiat und Finzenz, genau diese beiden Dinge miteinander zu verbinden. Die beiden Lebenskünstler betreiben, stets am Rande des Existenzminimums, eine kleine gemeinsame Wohnung. Einen Ausweg aus dem Elend verspricht ein Fleckenmusang, den sie aus dem Zoo entwenden und dessen spezielles Verdauungstalent sie zu Geld machen wollen. Der Ort der Handlung bleibt im Buch unbestimmt: eine mittelgroße österreichische Stadt, wobei man sich wundert, dass es dort ein so seltenes Tier bzw. überhaupt eine zoologische Anstalt gibt.
Auch der Ort, an dem sich Fiat und Finzenz kennenlernen, ließ mich an anderes denken, nämlich an Hallstatt. Vor einem Beinhaus mit bemalten Totenköpfen bleiben die beiden Desperados (der eine ursprünglich aus Rumänien, der andere aus Bulgarien) eines Tages gleichzeitig stehen und bemerken, dass auf zwei nebeneinander geschlichteten Schädeln jeweils ihr eigener Nachname steht. Wer dächte da nicht an die berühmte Eingangsszene von „Bouvard und Pécuchet“, den berühmten Roman von Flaubert, in dem die zwei gutmütigen Tolpatsche sich nebeneinander auf eine Parkbank setzen, ihren Hut ablegen und in der Schärpe den Namen des anderen sehen. Hineingeklebt, um Verwechslungen auszuschließen.
sAndrea Grill kannte, obwohl sie mit Fiat (eigentlich: Ferdinand) Neupert und Finzenz Engl zwei vergleichbare Figuren schuf, „Bouvard und Pécuchet“ nicht, als sie „Das Schöne und das Notwendige“ schrieb. Als gelernte Biologin, die über die Evolution endemischer Schmetterlinge auf Sardinen promoviert hat, fällt ihr aber auch dazu eine passende Erklärung ein: Mit ihrem und Flauberts Buch verhalte es sich ähnlich wie mit dem brasilianischen und dem afrikanischen Ameisenbär. Die sähen beide zufälligerweise gleich aus, ein Fall von Parallelevolution. Im Übrigen aber, so Grill weiter, habe ihr während des Schreibens „Alexis Sorbas“ als Vorbild gedient.
Mit zu den Qualitäten von „Das Schöne und das Notwendige“ gehört, dass man dieses Buch auf viele Arten lesen kann. Sehr heiter wird es im Mittelteil, als Fiat und Finzenz die Schleichkatze in die Wohnung nehmen, mit Kaffeekirschen füttern, ungeduldig auf Ergebnisse warten, Kostproben nehmen, langsam ein Vertriebssystem aufbauen, Abnehmer finden, erste Gewinne machen und sich schon eine glanzvolle Zukunft vorstellen – bis das Tier plötzlich an Überfütterung stirbt.
Wie durch ein Wunder (das es bei Flaubert niemals gibt) taucht in der Stadt eine zweite, entlaufene Schleichkatze auf, mit der noch ein Versuch unternommen wird. Doch bald gibt es Schwierigkeiten: Fürchterlicher Gestank macht sich in der Wohnung breit, der luftdichte Käfig (von Fiat selbst gezimmert) will nicht so recht funktionieren, und überhaupt scheint die wilde Katze für so eine Haltung zu fragil. Langsam verliert sich an ihr das Interesse. Dazu trägt bei, dass eine Frau namens Valentina auftaucht, in die sich Fiat verliebt. Mit deren Ehemann, der in Heimarbeit Wachsjesuskinder produziert und davon nicht schlecht lebt, beginnt der zunächst recht eifersüchtige Finzenz ein Verhältnis. So endet (etwas abrupt vielleicht) bei Grill alles so, wie es im neuen Woody Allen („Whatever works“) endet. Gut ist, was funktioniert. Und wenn es funktioniert, ist es gut.
Ob „Das Schöne und das Notwendige“ – wie der Klappentext verspricht – wirklich eine „ökologische Parabel“ ist, sei dahingestellt. Der Kaffee jedenfalls tut hier über die eine Sorte hinaus seine Wirkung. So sind die 40 Kapitel des Buches nach unterschiedlichen Kaffeearten benannt, und auch der historische Aspekt des Kaffeehandels spielt in das Buch hinein. Gleich im Motto stellt Andrea Grill klar, dass für den Welthandel heute nur zwei besonders leicht zu kultivierende Sorten interessant sind, während eine Vielzahl von Arten vom Aussterben bedroht ist. Nicht allein gegen die Monokultur des Kaffees, sondern auch gegen die Monokultur des Schreibens richtet sich das Buch. Gleichsam ein literarisches Café, das sich nach außen öffnet. ■

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