Sprachspaltereien

Wenn die Höhe ins Auge geht.

In der Sprache der Politiker ist derzeit das Augenmaß sehr beliebt. So propagiert etwa die deutsche Bundeskanzlerin neuerdings einen Atomkraft-Ausstieg mit Augenmaß. Fragt sich nur, was das genau sein soll. Aber das ist - umgekehrt - der Vorteil der Formulierung: Augenmaß klingt vernünftig, alles Weitere wird sich finden. Auch Begegnungen auf Augenhöhe werden gern propagiert. Politiker mit Bürgern, Koalitionspartner miteinander, Lehrer mit Schülern, Eltern mit Kindern. Von oben herab war gestern. Das will die Modefloskel zumindest suggerieren, die in jüngster Zeit noch verfeinert wurde: Auf gleicher Augenhöhe, spezifiziert man nun.


Ganz Korrekte dürften erkannt haben, dass Augenhöhe allein noch keinen gleichberechtigten Umgang garantiert, wenn man es allzu wörtlich nimmt. Schließlich sind die Menschen unterschiedlich groß. Aber wie funktioniert gleiche Augenhöhe in der Praxis? Beugt sich der eine hinunter, stellt sich die andere auf die Zehenspitzen? Große Frauen wiederum haben Erfahrung darin, sich zu „verkürzen", damit kleinere Männer nicht unter der unterschiedlichen Augenhöhe leiden müssen.
Am besten wäre es, wenn sich die Beteiligten zur Annäherung der Augenhöhe hinsetzen. Jetzt sind die Sitzriesen im Vorteil. Aber man kann es drehen und wenden, wie man will: Das sprachliche Bekenntnis zur Augenhöhe - auch im übertragenen Sinn - ist oft nur billige Kosmetik. In der Realität ziehen dann der Schüler, das Kind oder der Juniorpartner in einer Koalition doch häufig den Kürzeren.

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