Wir beißen nicht in das Wort

Können wir ohne Gegensätze denken? Josef Mitterer will herkömmlich verfasstes Denken als versteckte Machttechnologie entlarven und die kategorialen Gegensätze unterlaufen. Die unter dem Titel „Die Dritte Philo-sophie“ versammelten Repliken stellen sein Konzept des Non-Dualismus auf den Prüfstand.

Mit philosophischen Problemen ist es wie mit Hundeknochen, es lässt sich endlos an ihnen herumnagen, ohne dass man sie verdauen könnte. Ein bis zur Unkenntlichkeit zernagter Brocken ist das philosophische Problem des Gegensatzes von Subjekt und Objekt, Wahrnehmung und Gegenstand, Wort und Ding.

Nichts scheint klarer, als dass wir einen Unterschied machen müssen zwischen der Rede über eine Sache und der Sache selbst, über die wir sprechen. „Wir beißen in einen Apfel und nicht in das Wort Apfel“, heißt es im Band „Die Dritte Philosophie“ lapidar. Aber sobald der Unterschied einmal gemacht ist, kommt man nicht wieder zurück. Denn alles, was sich über Dinge aussagen lässt, findet in der Sprache statt. Wie aber will man das „eigentliche“ Ding erkennen können, wenn es nur über Sprache und Wahrnehmung zu fassen ist? Ein großer Teil philosophischer Anstrengung besteht darin, sich an kategorialen Entgegensetzungen und ihrer möglichen Vermittlung abzuarbeiten. Doch nicht selten hat man den Eindruck, dass die Gegensätze konstruiert sind wie Rätsel, die sich unter gegebenen Voraussetzungen gar nicht lösen lassen. So erhält sich Philosophie als ein Perpetuum mobile ihrer selbst gestrickten Dilemmas.

Der Klagenfurter Philosoph Josef Mitterer will dem ein Ende setzen. Bereits in „Jenseits der Philosophie“ formulierte er eine grundsätzliche Kritik des dualistischen Erkenntnisprinzips. Mitterer ist nicht der Erste, der in nietzscheanisch hämmerndem Gestus herkömmlich verfasstes Denken als versteckte Machttechnologie entlarven und die kategorialen Gegensätze unterlaufen will. Offenbar weckt aber sein hartnäckiger Impetus die Ahnung, er habe vielleicht doch etwas gefunden, das „fähig ist, die Grundfesten des philosophischen Establishments zu erschüttern“ (Ernst von Glasersfeld). Als schwarzes Schaf in der analytischen Philosophie, so beschreibt Reinhard Margreiter,habe Mitterer unermüdlich eine doppelte Strategie fortgesetzt: „(a) allen, auch den Beleidigern, gegenüber freundlich zu bleiben und (b) – unbeeindruckt von allen Einwänden – stur auf seiner Linie zu beharren.“

Diese Linie besagt, dass man konsequent auf Dualismen verzichten sollte, weshalb Mitterer keine Objekte außerhalb der Sprache ansetzt. Objekte sind für ihn „Beschreibungen so far“, die durch „Beschreibungen from now on“ ergänzt und verändert werden. Was das für Textinterpretation heißt, zeigt ein Aufsatz Mitterers im vorliegenden Band. Demnach gibt es keinen Wahrheitsanspruch einer besseren oder schlechteren Interpretation, vielmehr sei die „Idee der ,richtigen‘ Interpretation wenig mehr als die Idee der zuletzt präferierten Interpretation“. Das klingt zunächst nach einem relativistischen Konstruktivismus, nur behauptet Mitterer, der Non-Dualismus liege jenseits des Konstruktivismus.

Neben Mitterers Text zur Interpretation enthält „Die Dritte Philosophie“ 23 Auseinandersetzungen verschiedener Autoren mit Mitterer, und man kann mit Fug und Recht sagen, das Buch sei ein guter philosophischer Knochen. Die Repliken reichen von eher ironisch-kursorischen Meditationen zur Wahrnehmbarkeit des Urknalls (Peter Strasser) bis zu kritischen Rekonstruktionen und ernsthaften Weiterentwicklungen von Mitterers Ideen. So erklärt etwa Reinhard Margreiter einleuchtend die Relevanz des Non-Dualismus für die Medientheorie, und er deutet Mitterer selbst als einen Ironiker und bernhardesken „Übertreibungskünstler“, was vieles an dessen Habitus verständlicher machen dürfte. Krzysztof Abriszewski sieht Verbindungen zwischen Mitterers Ansatz und der derzeit hoch gehandelten Akteur-Netzwerk-Theorie von Bruno Latour, die den klassischen Unterschied handelnder Subjekte und passiver Objekte auf den Kopf stellt. Aleksandra Derra wiederum liest den Non-Dualismus als politische Theorie, die sich perfekt auch für feministische Kritik und Theoriebildung einsetzen lasse.

Aus Dilemmas kommt man heraus, indem man die Perspektive wechselt. Matthias Kross zeigt, wie Mitterer Sichtweisen verschiebt und zieht dessen Erfahrungen als Reiseleiter heran, um das Flüchtige, Relative der Konzepte zu beschreiben. „Wir gelangen“, schreibt Kross, „beim Reisen gleichsam ins Herz von Mitterers Philosophie.“ Sven Grampp führt auf bestechende Weise vor, dass man mit Wittgenstein non-dualistisch denken kann, ohne einen erkenntnisnotwendigen Dualismus aufzugeben. Wittgenstein wäre für Grampp die bessere Alternative zu Mitterer.

Je weiter man in „Die Dritte Philosophie“ liest, desto interessanter und facettenreicher erscheint das Projekt Mitterers mit allem, was daran hängt. Und es hängt viel daran. Denn im Laufe der technischen und naturwissenschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte sind erkenntnistheoretische Fragen auch als gesellschaftliche virulenter geworden. Der Band öffnet ein breites Spektrum gegenwärtiger Argumentationen und zeigt auch, dass die klassisch-grobe Unterscheidung zwischen Objekt und Subjekt, Realismus und Idealismus schon lange nicht mehr trägt. Vielleicht erleben wir derzeit einen Paradigmenwechsel philosophischer Fragestellungen, zu dem Mitterer seinen Teil beiträgt. Denn die „ewigen Probleme“ der Philosophie sind immer nur als historische zu verstehen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2011)

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