Die Faust in der Tasche

Die Unzufriedenheit mit dem herrschenden politischen System wächst. Zwei Bücher nehmen sich aus unterschiedlicher Perspektive des Phänomens „Wutbürger“ an: Eugen Maria Schulak aus überhöhter, Christoph Giesa aus digitaler.

Was, bitte, hat ein Garten mit den sogenannten Wutbürgern und deren Suche nach der geeigneten Form, dieser Wut Ausdruck zu verleihen, zu tun? Etwas mit Gartenzwerg wie in Sehnsucht nach kleinbürgerlicher Beschaulichkeit? Etwas mit Schrebergarten wie in Engstirnigkeit?

Nichts von all dem. Dennoch kommt der „Garten“ prominent in zwei jüngst erschienen Büchern vor, die ein und demselben Thema gewidmet sind, nämlich der Unzufriedenheit mit jenem politischen System, wie es sich in Österreich und Deutschland entwickelt hat. Die beiden in Wien lebenden Philosophen Eugen Maria Schulak und Rahim Taghizadegan haben, wie zu erwarten, einen überhöhten Ansatz: Für sie ist der Garten jener Ort, in dem man die Erde lockert, Unkraut und Wurzeln beseitigt, Steine entfernt und so weiter. Von dort kommen sie über Sokrates, Aristoteles und ihresgleichen mühelos zum Systemtrottel, dessen Mutation zum Wutbürger sie vorantreiben wollen. Denn: „Der Gärtner (siehe Garten, Anmerkung) ist das Gegenbild zum Systemtrottel“, schreiben sie. Sie fordern also jeden Bürger auf, seinen eigenen Garten abzustecken und dort den Gärtner zu spielen, denn die Begrenzung des eigenen Gartens heißt für sie, sich von Sachzwängen und Abhängigkeiten zu befreien. So weit so philosophisch.

Für Christoph Giesa, der 2010 in Deutschland eine Facebook-Kampagne für die Kandidatur Joachim Gaucks als Bundespräsident organisiert hat, ist der Garten seiner Kindheit Symbol für alles, was er an „diesem Land“, also Deutschland, mag. Sein Garten hat keinen Zaun, keine Abgrenzung keine Mauern. Für ihn bedeute er Freiheit, und er hatte „lange Zeit das Gefühl, dass wir es in Deutschland geschafft hatten, größtmögliche Freiheit mit größtmöglicher Sicherheit zu verbinden“. Dieses Gefühl ist ihm offenbar abhanden gekommen, weshalb er nun eben dafür wirbt, dass Bürger das Politische wieder selbst gestalten.

In gut der Hälfte ihres Buches entwerfen Schulak und Taghizadegan so eine Art Abziehbild der Orwellschen schönen neuen Welt, indem sie unseren momentanen gesellschaftlichen Zustand als eher geistloses Resultat moderner Sachzwänge beschreiben – und immer sehr apodiktisch. So ist es und nicht anders: Kinder zum Beispiel werden vernachlässigt, damit sie in desolaten Familien unter Isolation, Sprachlosigkeit und Vertrauensverlust leiden, um später offen zu sein für die „Segnungen der öffentlichen Hand“. Sie beschreiben in vielen Facetten so die „ideale Sozialisation“ für nützliche Systemtrottel. Hamster alle, hirnlos im Rädchen laufend, es in Schwung haltend.

Von diesem Befund kommen die beiden Philosophen dann via Selbstbeschränkung, die so weit geht, dass man eben weniger Geld haben sollte, um die Rädchen eben nicht in Schwung zu halten, mühelos zu einer Art Utopia. Allerdings bestreiten sie genau dieses: „Diese Abenteuergeschichte (der Wiederentdeckung des Selbst, der Seele, des Individuums) ist keine Utopie“, schreiben sie. Sie beschreibe keinen unmöglichen Ort mit unmöglichen Menschen. Sie sei zwar unwahrscheinlich, aber in kleinen Schritten verwirklichbar: Mut, Klugheit, Maß, Gerechtigkeit. Der Sprachrythmus, den sie verwenden, passt sich der Mutation an: Im Orwellschen Teil atemlos, ein Urteil folgt rasant dem anderen; im Abenteuerteil verlangsamt, entschleunigt gewissermaßen, bis er in der Aufforderung mündet: „Vielleicht besuchen Sie uns einmal in unserem Garten!“ Dort würde der Besucher dann, so scheinen sie zu hoffen, eine genügend große Zahl von Menschen sehen, die „der hinterhertrottenden Masse“ Vorbild sind., „sodass auch der letzte Trottel Mut schöpfen kann.“

So lange will Giesa offenbar nicht warten. Sein Buch mündet in ganz konkrete Handlungsanleitungen hier und jetzt zur Einmischung in die eigenen Angelegenheiten, wobei natürlich auch aufgrund seiner Erfahrung mit der Gauck-Kampagne die neuen Technologien eine prominente Rolle spielen, vor allem weil ihr Einsatz, er betont es auch, nur Zeit und einiges Organisationsgeschick, aber keine unmäßigen finanziellen Mittel verlangen: Via Internet Demonstrationen zu organisieren, sogenannte Flashmobs zu bestimmten Ereignissen einzurichten, Unterschriftenaktionen ins Leben zu rufen; Massenmailing an Politiker zu organisieren, Facebook und Twitter einzusetzen – und nicht zu vergessen: in den bestehenden Parteien mitarbeiten, um sich so einzubringen. Auch darin sieht Giesa einen Sinn, was vielleicht den einen oder anderen wütenden Bürger erstaunen dürfte.

Auch Giesa benennt natürlich die größeren Zusammenhänge, aber eben in einer bodenständigeren Sprache als die beiden Philosophen, deren Lektüre in etlichen Passagen sprachlich Lesevergnügen bereiten kann. Giesa konkret: „Die Herausforderung besteht also darin, das System beziehungsweise einzelne seiner Bestandteile so weiterzuentwickeln, dass unsere Zufriedenheit erhöht wird, ohne dass die Stabilität an sich in Frage gestellt wird.“ Das ist ein Satz, den der Gründer des „Instituts für Wertewirtschaft“, Rahim Taghzadegan, und der Vorstand dieses Instituts, Eugen Maria Schulak, sicher so nicht akzeptieren würden.

Der Autor eines weiteren Buches zum Systemwandel, der Salzburger Expolitiker der SPÖ, Wolfgang Radlegger, hingegen schon. Er wird noch konkreter und fordert seine Leserinnen und Leser auf, ihn Anregungen, Hinweise, Ergänzungen und Kritisches unter wehrenistwichtig@gmx.net wissen zu lassen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2011)

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