Rock And Roller

Es ist ein Vollkontaktsport, der aus den USA mit großem Tempo auf Europa zurollt: Roller Derby vereint Kampf- mit Rennsportelementen – und hat sich zu einer Frauendomäne entwickelt. In Österreich halten die Vienna Roller Girls die Fahnen des bahnbrechenden Punkteringens hoch.

Ein Derby steht für starke Rivalität, große Emotionen und Brisanz. Im Teamsport sind es jene Duelle, denen Medien und Fans traditionell eine elektrisierende Note beimessen. Aber bei einem Spiel ist immer und überall Derbytime: beim Roller Derby. Voller Körpereinsatz ist dabei garantiert. Doch das Rollschuhspektakel erfüllt auch andere Attribute eines klassischen Derbys – und fügt außergewöhnliche Details hinzu.

Besonders zwei Eigenheiten lassen Roller Derby aus der Reihe konventioneller Teamsportarten rutschen. Mit wenigen Ausnahmen checken sich nur Frauen bei dieser Mixtur aus Renn- und Kampfsport. Zum anderen ringen die Damen auf klassischen Rollschuhen im Retro-Look um Punkte. Das aus den 1970ern zu stammen scheinende Schuhwerk entspringt aber keineswegs derart alten Zeiten, verrät Derbyspezialistin Anna Grünwald, Mitgründerin der Vienna Roller Girls: „Nur weil das keine Inlineskates sind, laufen wir nicht mit Retroschuhen auf. Es gibt ja auch bei diesen Rollschuhen permanent Verbesserungen und neues Material. Das Entscheidende ist, dass man auf diesen einen viel besseren Halt hat.“

Denn Körperkontakt ist auf der ovalen Rollschuhbahn nicht nur nicht verboten, sondern ausdrücklich erlaubt. Ein Team besteht aus einer Jammerin und vier Blockerinnen. Im Match, dem „Bout“, geht es darum, die gegnerischen Spielerinnen zu überrunden und damit Punkte zu sammeln. Auf Punktejagd geht ausschließlich die Jammerin – ihre blockenden Teamkolleginnen versuchen, sie dabei bestmöglich zu unterstützen. Die gegnerische Gruppe an Blockerinnen, Pack genannt, möchte das verhindern. Ein beinharter Schlagabtausch ist die Folge. Freisperren, abdrängen, ein auf den Körper gebrachter Check, Recheck und Double-Check – fast alles ist im Roller Derby erlaubt. Fast. Ein ausgefahrener Ellbogen, das rücksichtslose Abschneiden des Weges oder der Check in den Rücken ist selbst beim ausgeschilderten Vollkontaktsport verboten. „Nach außen sieht es härter aus, als es tatsächlich ist. Es ist nicht so, dass wir eine spezielle Härte an den Tag legen“, sagt Angela Tiefenthaler. Die Wienerin versucht bei den Vienna Roller Girls, als Blockerin die Bahn für die spielentscheidende Jammerin frei zu machen. Für den hierzulande im Schatten stehenden Frauensport hat sich Tiefenthaler aber nicht vorwiegend aufgrund der körperbetonten Spielcharakteristik entschieden. „Es ist technisch herausfordernd. Und Vielseitigkeit spielt eine große Rolle.“ Auf der Bahn, dem Track, heißt es vor allem, die Übersicht zu bewahren. „Man muss ständig überblicken, was passiert, wer von welcher Seite kommt. Ich muss mich selbst gegen Blocks schützen, aber gleichzeitig in Angriffsbereitschaft sein. Der permanente Switch zwischen Defense und Offense braucht viel Konzentration. Es ist geistig und körperlich sehr anstrengend.“

Die 2011 gegründeten Vienna Roller Girls sind der einzige Verein seiner Art in Österreich. Um sich mit anderen zu messen, ist die Truppe also auf ausländische Derbygegner angewiesen. Gegen Prag, Berlin, Zürich oder Rotterdam trat man schon an. Teils ging es in der Ferne zur Sache, teils empfingen die Wienerinnen im Schulschiff oder auf dem Eisring Süd im zehnten Bezirk ihre Gäste zum Rollschuhduell. In Europa formen sich immer mehr Roller-Derby-Teams. Doch die Crème de la Crème zischt in den USA um die Kurve.

In den 1930ern in Chicago entstanden, verschwand Roller Derby nach anfänglichem Boom vom Sportradar. Erst Ende des Jahrtausends kehrte die Disziplin in gut besuchte Sporthallen der USA zurück. Dank weiblicher Initiatorinnen etablierte sich Roller Derby als Frauensport. 2004 formte sich die Women's Flat Track Derby Association (WFTDA), seither fighten Teams von der Ost- bis zur Westküste in einer nationalen Liga jährlich um den Meistertitel.

Auf in die große, US-amerikanische Roller-Derby-Welt machten sich in diesem Jahr die drei Spielertrainerinnen der Vienna Roller Girls. Von New York ging es quer durch das Land bis nach Los Angeles, von einem Derbyteam zum nächsten. „Wir haben uns unsere Route so gelegt, dass wir zu den Trainingszeiten des jeweiligen Teams vor Ort waren“, erzählt Anke Schaffartzik, die kurz nach Gründung des Wiener Teams in die Rollschuhe schlüpfte und sich fortan intensiv der Derby-Action widmete. Ihr USA-Trip brachte die große Popularität der Sportart im Ursprungsland klar zum Vorschein.

Landesweite Derbybegeisterung

„Auf dem Weg von Philadelphia nach Cleveland legten wir einen Zwischenstopp in einer Kleinstadt ein. Als wir der Bedienung im Café sagten, dass wir aus Österreich sind und Roller Derby spielen, hat sie sich sofort ausgekannt und uns erzählt, dass sie bereits mehrere Spiele live gesehen habe.“ Sein erstes Live-Derby in den USA sah das Trio aus Wien in Lincoln im Bundesstaat Nebraska. Das Gastgeberteam namens No Coast forderte die Rocky Mountains Roller Girls aus Denver. Knapp 3000 Zuschauer sorgten für eine „super Stimmung“. Und: „Wir wurden gleich angesprochen, herzlich empfangen und auf ein paar Bier eingeladen. Dann mussten wir dem Platzsprecher noch ein Interview geben, nachdem sich herumgesprochen hatte, dass wir Spielerinnen aus Österreich sind“, erzählt Schaffartzik. Einprägsam in Erinnerung blieb auch der Aufenthalt in Las Vegas, wo im Rahmen einer groß aufgezogenen Roller-Derby-Messe alles über diesen Sport zu bestaunen und zu kaufen war: Helm, Mundschutz, Ellbogen- und Knieschützer, Matchkleidung und freilich Rollschuhe. Zudem gab es in Las Vegas die Möglichkeit, sich bei Trainingssessions einzuklinken. Dass die US-Amerikanerinnen eine hohe Intensität an den Tag legen, wurde den drei Roller Girls aus Wien mit Tageseinheiten von neun Stunden und länger eindrucksvoll bestätigt.

„Unser Ziel ist es, als ganzes Team eine USA-Tournee zu machen und gegen verschiedene Teams anzutreten“, erklärt Trainerin Schaffartzik. Dort, wo zu Meisterschaftsspielen gelegentlich über 10.000 Fans den rollschuhlaufenden Akteurinnen zujubeln, will man sich weiterentwickeln. Auf Gegnerinnen aus dem eigenen Land muss man noch warten. Und aufgrund des fehlenden heimischen Konkurrenzkampfes wird Österreich bei der WM 2014 kein Nationalteam stellen. Die Welle des speziellen Derbys rollt aber bereits aus vielen Richtungen Europas an – und könnte bald über andere heimische Hallen hereinbrechen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2013)

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