I g'spia di ned!

„Wenn man seine Themen hört, hört man immer Österreich, die Alpen, pannonische Sachen. Und Wien.“ Sechs Stimmen zum ersten Todestag von Joe Zawinul.

Paul Gulda
„Er hatte diesen Blick“
Für mich ist seine Musik in erster Linie – ich sag's mit einem englischen Wort, das mir sehr passend zu sein scheint: „vibrant“. Das heißt nämlich nicht vibrierend, obwohl es so ähnlich klingt. Natürlich vibriert's, aber vor Lebendigkeit, gewissermaßen. Es ist unheimlich präsent und aktuell. Auch wenn er Brahms gespielt hat, war das plötzlich aktuell. Nicht im Sinne von zeitgenössisch, „vibrant“ halt, mit dieser gewissen Art von Lebensfreundlichkeit, Lebenszugewandtheit. Weil er eigentlich die Leute gern gehabt hat.

Wenn er an seinen Keyboards gesessen ist – mehr gestanden als gesessen, er hatte ja eine ganze Burg aus Kasteln –, hatte er einen Blick, den werd ich nie vergessen. Das war ein scharfer, nicht bösartiger, aber sehr strenger Blick. Er hat sich umgeschaut und irgendwie die ganze Band ständig unter Kontrolle gehabt. Er hat, glaube ich, alles gleichzeitig gehört, was sich abspielt, und geschaut, ob's passt. Er hat ja nicht auf die Tasten schauen brauchen. Er war ständig mit den Ohren und mit den Augen überall.

Der Pianist und Komponist Paul Gulda hat mit Joe Zawinul in den Neunzigerjahren die „Haydn-Variationen“ von Brahms gespielt.


Frank Hoffmann
„Sie sind das andere Österreich“
Der Joe hatte ein Stück geschrieben, anlässlich des 60. Jahrestages des Konzentrationslagers Mauthausen. Es hatte vier Sätze, und ich habe dazu Originalzitate aus Kassibern, herausgeschmuggelten Briefen, Gedächtnisprotokollen von KZ-Insassen gelesen. Wir standen auf einem Ponton, er mit seinen Keyboards und ich mit einem Notenpult, darauf meine Texte. Vor uns sieben- bis achttausend Leute. Bis zu dieser Todesstiege saßen die Leute dicht gedrängt. Es waren ehemalige Insassen, von den Austrian Airlines aus allen Teilen der Welt herangeflogen, kostenlos. Es war ein unglaubliches Event, und wir spielten – Joe spielte, ich hab gesprochen.

Es bekamen alle Leute, die dorthin kamen, ein Programm und eine kleine Kerze. Es war ausgemacht, dass Joe und ich vor dem letzten Satz unsere Kerzen anzünden sollten. Das war sozusagen die Initialzündung für alle anderen, auch die Kerzen anzuzünden, im Gedenken an die Leute, die dort umgekommen waren. Sobald wir unsre Kerzen anzündeten, ging unter uns ein Lichtermeer an.

Und dann war es zu Ende, zwei, drei Leute versuchten zu applaudieren, wurden aber von den anderen niedergeschwiegen.

Der Joe und ich, wir waren überwältigt von dieser Geschichte, Joe machte sich irgendwie an seinen Keyboards zu schaffen, und ich saß einfach nur dort. Wir waren seelisch ein wenig erschöpft, und dann passierte etwas. Die Leute, die schweigend den Ort verließen, formten hinter den Stühlen aus ihren Kerzen spontan ein riesengroßes Herz, und die, die zu diesem Herz nicht mehr dazupassten, stellten die brennenden Kerzen auf die sogenannte Todesstiege. Dann hat Joe gesagt: „Geh, wart ma, bis die Leut weg san!“ Denn wir wollten uns nicht unterhalten.

Wir sind dann, als die meisten Leute weg waren, aus unserem Ponton herunterge-stiegen. Da kam uns ein alter Mann mit weißen Haaren entgegen, und er sagte in leicht gebrochenem Deutsch: „Herr Hoffmann, Herr Zawinul, ich dank' Ihnen, dass sie des g'macht haben! Sie sind das andere Österreich!“ Und der Joe hat darauf unfreundlich gebrummelt: „Warum sagen's da dankschön?!“ Und dann schaut uns der alte Mann an und sagt: „Ich war einer von diesen Insassen!“ Ich weiß noch, dass der Joe sich wortlos umgedreht hat und wieder auf den Ponton zurückgegangen ist, ich bin ihm gefolgt. Wir haben dem alten Mann noch die Hand gegeben und gesagt: „Vielen Dank!“

Auf einmal fing der Joe an zu reden und zu reden und zu reden. Er hat mir sein ganzes Leben erzählt. Das hat mich schließlich dazu veranlasst, ihm auch mein eigenes Leben zu erzählen. Und das war schon ein unglaublicher Vertrauensbeweis, sodass ich mir am Ende gedacht hab: So, jetzt sind wir wirklich Freunde! Und so ist es auch geblieben.

Frank Hoffmann, langjähriger Burgschauspieler deutscher Herkunft. Seine Freundschaft mit Zawinul entstand 1998 während der gemeinsamen Arbeit an einem Projekt anlässlich des 60. Jahrestages des Konzentrationslagers Mauthausen. Damals wurde Zawinuls Komposition „Vom großen Sterben hören“ uraufgeführt.
Paul Polansky
„Da hat er die Ohren gespitzt“
Solange ich lebe, ist es ein Meilenstein in meiner Karriere als Produzent, als Rundfunkmensch: Es war drei Jahre vor meiner Pensionierung, ich hab immer vorgehabt, den Joe ins Studio einzuladen. Es ist nie gelungen, Termine sind dazwischengekommen, und er war eigentlich nicht bereit, im Rundfunk zu spielen. Aber ich hab ihn irgendwann erwischt und hab gesagt: „Du, pass auf, ich möchte gerne mit dir eine Produktion machen!“ – „Ja, aber die Band ist nicht da!“, hat er gesagt. Und ich hab ihm geantwortet: „Mit dir alleine!“ Er hat die Ohren gespitzt, da hab ich ihn an der Angel gehabt. Dieses Angebot haben ihm wahrscheinlich nicht viele gemacht, und er hat okay gesagt.

Ich hab 23 Jahre lang jeden Abend von 23 Uhr bis Mitternacht eine Sendung gehabt, die hieß „Musik zum Träumen“. Und ich hab gesagt: „Joe, ich möchte von dir ein Liedl, von dir gespielt und komponiert – für meine Sendung!“ Das war für ihn ein bisschen zu boulevardmäßig. Ein Mensch mit seinem Namen und ein Jazzer! Mit „Musik zum Träumen“ ist er nicht so ganz zurechtgekommen. Nichtsdestoweniger hat er gesagt: „Okay, ich mach das!“

Dann haben wir die Details besprochen. Wir haben ihm sämtliche Instrumente, die er gebraucht hat, ins Studio geräumt. Ich hab eigens für diesen Zweck das große Studio buchen lassen, da waren wir zu dritt: der Techniker, die Cutterin und ich. Wir haben nicht auf die Uhr geschaut, haben gespielt, wiederholt, noch einmal, abgehört, und um fünf Uhr früh war's aus. Es war eine wunderschöne Atmosphäre. Wenn der Joe nicht weiterwollte, haben wir Pause gemacht, wenn er wollte, haben wir auch eine Stunde durchgespielt. Es gab keinerlei Beschränkung oder irgendwelche Probleme. Nichts war vorprogrammiert, er hat sich hingesetzt und gespielt. Was auf der Aufnahme drauf ist, ist nirgends in Noten gefasst. Wenn man die CD auflegt, ich glaube, das müsste ein großer Laie sein, der nicht erkennt, dass das der Joe ist!

Paul Polansky, ehemaliger Musikchef des Radiosenders Ö3, hat 1987 mit Zawinul eine Nacht lang eine Soloaufnahme gemacht. Die einzige, die es von Zawinul gibt.


Andreas Tieber
„Ein Dirigent war er immer“
Das Charakteristische, Unverwechselbare und besonders Wertvolle an der Musik von Joe Zawinul ist für mich die Freiheit, rhythmisch, energetisch und melodisch. Zawinul hat einfach niemanden gescholten, wenn er einen falschen Ton gespielt hat, sondern nur, wenn er ihn nicht gespürt hat: „Was is los mit dir? I g'spia di ned!“

Ein Dirigent war er immer, bei LiveKonzerten hat er die Hand gehoben und alle haben gewusst: „Aha, jetzt kommt das!“ Aber dazwischen war es wieder total frei. Der Zawinul hat immer seine Geschichte erzählt. Das ist auch der Grund, warum er es in Amerika geschafft hat. Der ist da rüber gegangen, mit der Ziehharmonika am Rücken und hat nie so sein wollen wie die amerikanischen Jazz-Pianisten. Da hätte er keine Chance gehabt. Wenn man Zawinuls Themen hört, hört man immer Österreich, die Alpen, pannonische Sachen. Und man hört Wien.

Andreas Tieber ist Musiklehrer und Direktor der Joe-Zawinul-Musikschule in Gumpoldskirchen.


Hans Salomon
„Wenn das der Zawinul ist...“
Ich habe Joe ungefähr 1951 kennengelernt. Soweit ich mich erinnere, hat es in Wien einen Session-Club gegeben, in der Akademiestraße. Dort ist man halt hingegangen und hat gejammt, da ist er auch einmal hingekommen und hat gespielt. Da habe ich ihn das erste Mal gesehen und mit ihm gesprochen.

Irgendwann habe ich dann in Pörtschach gespielt, mit einer zusammengewürfelten Band – eigentlich schrecklich. Wir haben dort einen Pianisten gehabt, einen Religionslehrer, der gut gespielt hat. Aber er war ein bisschen eigenartig, und der hat nach einer Woche gesagt, nein, er hält das dort nicht aus, das ist ein Sündenpfuhl, er muss weg. Dann ist ein Telegramm gekommen: einer hat aus Wien geschrieben: „Komme mit Bop-Barpianist Joe.“ (Bop war die Abkürzung von Bebop.) Worauf sofort der Bassist gesagt hat: „Moment, wenn das der Zawinul ist, dann muss ich sofort aufhören!“ Denn er hat mit ihm früher einmal irgendwo ein Problem gehabt. Der Joe konnte arg sein, sagen wir, sehr kritisch, weil er natürlich damals auch schon auf einem anderen Niveau war.

Aber dann ist Folgendes passiert: Die Band war schlecht. Wir haben einmal geprobt, an einem Vormittag, etwas Neues, und zu der Zeit ist der Joe gerade aus Wien gekommen. Draußen vor der Tür hat er die Band gehört und hat sofort gesagt, nein, mit denen will er nicht spielen. Als er dann erfahren hat, dass ich dort spiele, ist er geblieben, die ganzen zweieinhalb oder drei Monate. Und wir haben wirklich eine schöne Zeit gehabt, jede freie Minute haben wir miteinander verbracht, sind im Wörthersee schwimmen gegangen. Wir hatten seit damals eine unheimlich gute Freundschaft.

Hans Salomon, Jazz-Saxofonist, hat in den Fünfzigerjahren mit dem jungen Joe Zawinul gespielt und war mehr als 50 Jahre mit ihm befreundet.



Martin Fostel
„Des halt i ned aus!“
Während des Konzerts ist er einfach irrsinnig streng gewesen, auch mit den Musikern. Wenn da wer nicht gespielt hat, wie er sich's vorstellt, dann gab's einen emotionalen Ausbruch. Und wenn jemand gespielt hat, der nicht so selbstsicher war, dann hat er's nicht leicht gehabt, bis er sich hineingefunden hat. Über einen Schlagzeuger hat er beim ersten Konzert gesagt: „I glaub, da such ma uns an andern, des halt i ned aus, drei Monat lang!“ Aber wenn zwei Leute zusammengepasst haben, dann war die Chance schon da. Und er hat trotzdem während des Konzerts alle, die jetzt gerade „Scheiße gebaut haben“, böse angeschaut.

Und wenn das Timing grade nicht rund gelaufen ist, ist er dort gestanden und hat laut den Rhythmus geklopft. Abgesehen von den normalen Zeichen, die anzeigen, wie das Stück weitergeht. Wo man halt wirklich hat aufpassen müssen. Er hat dafür verschiedene Handbewegungen gehabt, um zu zeigen, welcher Teil jetzt kommt. Meistens hat's einen Musiker geben, der dann sozusagen der Co-Leiter war. Der hat bei jedem Fingerkrümmen gewusst: Jetzt kommt das! Und dann hat er es weitergegeben an die anderen. Manche Musiker haben sich damit schwer getan, manche haben eh gleich gespürt, was er jetzt will.

Martin Fostel war Roadie auf zahlreichen Europatourneen von Zawinul, zuständig für den Auf- und Abbau des Equipments. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2008)

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