Kum heri, kum hari

Die Zuzügler blieben unter sich. Mancherorts sollen die ersten „Mischehen“ erst in den 1970ern geschlossen worden sein.
Die Zuzügler blieben unter sich. Mancherorts sollen die ersten „Mischehen“ erst in den 1970ern geschlossen worden sein. (c) Heilingsetzer
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Sie kamen aus dem Wald- und Mühlviertel, aus Franken oder Mähren: die Siedler, die im 18. Jahrhundert in den Nordosten des Habsburgerreichs zogen. Bis heute geblieben sind nur die beharrlichsten ihrer Nachfahren. Heimat oder: Von der Liebe zu Dingen, die manchmal wehtun. Besuche bei den letzten Deutschsprachigen Transkarpatiens.

Beim ukrainischen Bürgermeister Petro Pupasch läuft der Fernsehapparat. Der schnauzbärtige Mann tut nicht einmal so, als würde er arbeiten. Die Nachrichten aus dem fernen Osten des Landes erfordern seine Aufmerksamkeit. Nach dem Tod von Johann Pfeifer, dem letzten deutschsprachigen Ortsvorsteher, ist Pupasch im Jahr 2010 im Rathaus von Pausching (Pavshino) ans Ruder gekommen. Das Dorf Pausching liegt wenige Kilometer südwestlich von Mukatschewo, der mit knapp 80.000 Einwohnern größten Stadt der zur Oblast Transkarpatien gehörenden Region. Auf Deutsch Munkatsch genannt, ist sie das Zentrum der von Deutschsprachigen bewohnten Gebiete der Karpatoukraine.

Die Sekretärin des Bürgermeisters meldet uns per Telefon bei den letzten Deutschsprachigen des Ortes an. Dort bittet man uns ins Haus herein, kredenzt Backwerk und Kaffee, später Traubensaft und selbst gekelterten Wein. An der Wand hängt eine Uhr: Sie zeigt die mitteleuropäische Zeit. Helene Glas hat sich vor vielen Jahren entschlossen. Sie wird nicht mehr fahren. Auch ihre Tochter Anna und der Schwiegersohn Josef sind dageblieben. Sie gehören zu den letzten Beharrlichen. „Die Lagernummer, die fertigen Papiere haben wir, aber wir wollen nicht. Es ist nicht nötig, es ist auch hier schön“, behauptet Frau Glas, das rüstige und mit einer fast herrischen Stimme ausgestattete Familienoberhaupt im Brustton der Überzeugung.

Die von ihr beinahe genüsslich erzählten Geschichten jener, die im höheren Alter noch gingen und unter ihrer Entwurzelung zu leiden hatten, scheinen ihr recht zu geben. „Die Schokolade hat alle in den Westen gezogen, hier gab es keine. Aber heute haben sie die Schokolade alle satt.“ Unsere Gastgeber sprechen mit uns Hochdeutsch, manchmal streuen sie Wörter ein, die ihrer Mundart entspringen oder die dem Ungarischen oder Ukrainischen entlehnt zu sein scheinen. Als Helene Glas Ende der Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts mit dem hier weit verbreiteten Mädchennamen Vogel geboren wurde, war Pausching ein deutschsprachiges Dorf. „Es war wie eine Familie, wir haben jeden gekannt.

Wir waren wie Geschwister und haben auch aus den Nachbardörfern alle gekannt.“ Man sei bei Kirchweihfesten zusammengekommen und habe den ganzen Tag mit Essen, Trinken und Tanzen verbracht. „Das junge Volk hat Musik gemacht und getanzt, alles war so schön.“ Sprachlich würden die Pauschinger den Schönbornern nahe liegen, doch es gebe feine Unterschiede. „Die Schönborner sagen ,kum heri‘, wir sagen ,kum hari‘. Die Barthauser verstehen wir schon nicht mehr“, erklärt Frau Glas.

Die deutschsprachige Volksgruppe hat eine mehr als 300-jährige Geschichte in Transkarpatien, dem westlich von den Karpaten hinter dem reicheren Europa gelegenen Gebiet der Ukraine. Die heute von Mukatschewo eingemeindeten Dörfer Plankendorf (Palanok) und Kroatendorf (Pudhorod) gelten als älteste deutsche Siedlungen. Das beinahe 13.000 Quadratkilometer große Gebiet Transkarpatien grenzt an die Länder Polen, Slowakei, Ungarn und Rumänien und wird von rund 1,3 Millionen Menschen bewohnt.

Nach den siegreichen Kriegen der Habsburger gegen das Osmanenreich sollten die fast menschenleeren neuen Gebiete im Nordosten des Königreichs Ungarn besiedelt werden. Dreimal riefen die habsburgischen Kaiser durch Kolonisationspatente zu umfangreichen Ansiedlungsvorhaben auf. Die ursprüngliche Bevölkerung dieses alten slawischen Gebietes waren Ruthenen, eine ethnische Gruppe, die einen ostslowakisch-westukrainischen Übergangsdialekt spricht. Ab der Zeit der ungarischen Landnahme in Mitteleuropa war zur slawischen eine magyarische Bevölkerung gekommen, die bis heute in den ebenen Landschaften an der oberen Theiß wohnt, ab dem 12. Jahrhundert stießen bereits erste deutsche Siedler hinzu, die der ungarischen Anwerbung gefolgt waren. Durch die langwierigen Kämpfe der von Franz II. Rákóczi angeführten Kuruzzen gegen die Habsburger waren die um Mukatschewo liegenden Dörfer Anfang des 18. Jahrhunderts vollkommen entvölkert. Um das verwüstete Land wieder bewohn- und urbar zu machen, lockten die Grafen Schönborn, denen das Gebiet nach der Niederwerfung des Aufstands aufgrund ihrer loyalen Haltung zugeteilt worden war, Bauern, Winzer, Handwerker und Holzarbeiter ins Land.

Das alte Grafengeschlecht war stark im Episkopat verankert. Im 17. und 18. Jahrhundert erstreckten sich die Territorien der geistlichen Fürsten aus dem Geschlecht der Schönborn von Kurmainz, dem von den Erzbischöfen und Kurfürsten von Mainz verwalteten Gebiet, bis Würzburg und Worms und von Speyer bis Konstanz. Als Bischöfe und Äbte regierten sie Erzstifte und Stifte der genannten Residenzstädte, durch Nepotismus förderten sie auch ihre weltlichen Verwandten an den jeweiligen Fürstenhöfen. Gleichzeitig standen sie in ihrer geistigen und politischen Tradition auf der Seite der Reichsinteressen und vertraten die Politik des Kaisers gegenüber den protestantischen Reichsfürsten oder ausländischen Mächten. Kaiserliche Politik von Wien aus propagierte der jeweilige Reichsvizekanzler in Absprache mit dem Kurfürsten von Mainz.

Die Anwerbung deutscher Siedler durch die Grafen Schönborn erfolgte mithilfe von Werbepatenten. Die erste Schönbornsche Gruppe, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nach Transkarpatien auswanderte, führte zu Gründungen fränkischer Dörfer südöstlich von Munkatsch: etwa Pausching (Pavšyno), Unterschönborn (Šenborn), Oberschönborn (Werchnij Koropez) oder Mädchendorf (Lalovo). Wahrscheinlich aus dem niederösterreichischen Waldviertel, vielleicht aber auch aus Böhmen oder dem nördlichen Oberösterreich kamen jene Siedler, die sich in Barthaus (Barbovo) niederließen. Die zweite Schönbornsche Gruppe, sprachlich bairisch, führte zu Gründungen von Dörfern nördlich von Munkatsch, etwa Synjak. Die Auswanderer kamen aus dem Böhmerwald um Prachatitz (Prachatice).

Die Auswanderer des 18. und 19. Jahrhunderts waren keine Religionsflüchtlinge, sondern Menschen, die die Verbesserung ihrer materiellen und sozialen Lebensumstände im Sinn hatten. Mit dem Auswanderungspatent von Friedrich Karl von Schönborn vom 22. April 1730 wurden den Aussiedlern aus den Hochstiften Bamberg und Würzburg zahlreiche Vergünstigungen angeboten: etwa der Grund, das nötige Bauholz, 12 fränkische Morgen an Wiesen, die freie Weide, Eichelmast in den Wäldern, Ackerland und anderes mehr.

Die erste Gruppe von Siedlern traf am 9. September 1730 in Munkatsch ein, acht Familien mit 55 Personen aus dem Hochstift Bamberg. Die Fahrt dauerte, abhängig von den Wetterverhältnissen, fünf bis sechs Wochen. Dem ersten Werbepatent folgten weitere. Nach der Bauernbefreiung im Jahr 1848 zeigten die Schönborns aber immer weniger Interesse an der Stadt Mukatschewo und den sie umgebenden deutschen Dörfern.

Die Leute, die in den Schönborndörfern verblieben sind, sprechen neben anderen deutschen oder österreichischen Mundarten noch heute fränkische Varietäten. Die Franken, die ihre Dialekte fälschlicherweise als „Schwobisch“ bezeichnen, konnten aufgrund der einheitlichen religiösen Konfession, Sprache, Brauch- und Festkultur sowie relativ geschlossener Familienverbände selbst in den widrigen Zeitumständen im Lauf der Geschichte, etwa der Magyarisierung, ihre ursprüngliche kulturelle Identität weitgehend erhalten.

1944 wurden große Teile der deutschsprachigen Bevölkerung Transkarpatiens nach Deutschland, vor allem nach Thüringen und Sachsen, evakuiert. Auf Anordnung der Sowjets mussten die Geflohenen im Sommer 1945 wieder in ihre angestammte Heimat zurückkehren, wo sie das Dasein Ausgestoßener fristeten und ab dem Frühjahr 1946 in sibirische Arbeitslager verschleppt wurden. Erst nach Stalins Tod lockerten sich die Gesetzte.

1990 läutete der Niedergang der Sowjetunion ihre letzte Epoche ein. Seit dieser Zeit zog es den Großteil der Nachfahren der fränkischen Pioniere, wiederum in der Hoffnung auf ein besseres Dasein, nach Deutschland zurück, wodurch viele Familien zerrissen wurden.

Die Deutschen seien hier in den vergangenen Jahren zu Fremden geworden. Heute, so Helene Glas, würden nur noch „drei rein deutsche und ein paar gemischte Familien“ hier leben. Zu den Ukrainern, Ungarn und Slowaken bestehe nur wenig Kontakt. In die Kirche gingen nur noch gezählte acht Frauen. Viermal in der Woche werde die Messe gelesen, indes auf Ukrainisch. Manchmal streue Pater Josef Trunk deutsche Wörter, Sätze oder Gebete ein. „Ich kann mittlerweile das Vaterunser und das Rosenkranzbeten auf Ukrainisch. Das Elend lernt!“

Pausching ist heute ein fast typisches transkarpatisches Dorf. Ukrainer und Roma leben in den ehemaligen Häusern der Deutschen in Pausching, die zu Schleuderpreisen verkauft werden müssen.

Der Krieg in der Ostukraine hat das ganze Land in eine tiefe Rezession gestürzt. „Wenn unsere Kinder aus Deutschland kommen, haben sie ihr Auto voll mit Waschmitteln, Zucker und Reis“, offenbart Frau Fehn. Man ernähre sich fast ausschließlich von dem, was das Tier und der Garten hergeben würden. „Aber wir haben besser gegessen als sie, und auch gut angezogen sind wir“, führt Helene Glas aus, warum das Weggehen für sie dennoch nicht infrage komme und sie den Auswanderern, darunter dem Großteil ihrer sieben Geschwister, nichts neide.

Von Pausching fahren wir weiter in Richtung Unterschönborn. Das Dorf wird von Ukrainern, Ungarn und Deutschsprachigen gleichermaßen Schenborn (?enborn) genannt. Die Siedlungen sind durch Straßen verbunden, die nur im Schritttempo zu befahren sind, die Dorfstraßen sind meist noch schlechter. Vor Nyschnij Koropez, einem ungarischen Dorf, zweigt eine kleine Straße ab, die bald nur noch mit Betonplatten gepflastert ist.

Das fahle Licht der Dämmerung lässt alles grau erscheinen, Rauch ringelt sich aus den Schornsteinen, Schwaden ziehen über Wiesen und Felder, denen man anmerkt, dass sie immer noch unter ihrer Kolchosenvergangenheit leiden. Etwas außerhalb des Dorfes befindet sich der Friedhof. Viele der Toten scheinen von Zeit zu Zeit Besuch zu erhalten.

Wir schlendern in das Ortszentrum. Es dauert eine Weile, bis wir zum Haus der 1984 gegründeten Missionsgemeinschaft „Stabat Mater Maria“ finden. Ein Hund bellt, und schließlich öffnet eine freundliche Frau die Pforte. Es ist die ehemalig aus Zimmern im baden-württembergischen Landkreis Rottweil stammende Ordensschwester Tanja Maria Hofmann, die vor acht Jahren hierher gekommen ist und der katholischen Missionsgemeinschaft „Stabat Mater Maria“ angehört. Sie versuche, die Not der Menschen, die durch den Krieg noch größer geworden sei, zu lindern. Rund 30 deutschstämmige Leute würden noch im etwa 500 Seelen zählenden Unterschönborn leben.

Die Schwester führt uns zu einer der letzten Deutschsprachigen des Ortes. Anna Antonik wurde 1930 in Schönborn mit dem Mädchennamen Fricker geboren und lebt zusammen mit ihrem Sohn, der sich um die Landwirtschaft kümmert, einen Steinwurf vom Missionshaus entfernt: „Früher waren wir ein deutsches Dorf, bis die Russen hereingekommen sind. Was vergangen ist, das ist vergangen. Jetzt ist es ein ukrainisches Dorf.“ Frau Antoniks Eltern und auch deren Eltern seien schon in „Schenborn“ geboren worden. Sie spreche Ungarisch, ein wenig Ukrainisch, Deutsch und natürlich „Schwobisch“. „Verkaufen kann man mich nicht“, sagt sie lächelnd.

Von Unterschönborn fahren wir weiter über Oberschönborn (Werchnij Koropez) nach Barthaus (Barbowo). Die Straße führt vorbei an den Ufern eines idyllischen, teils ausgetrockneten Moorsees, der wohl der Sommerhitze hat Tribut zollen müssen. Anna Antonik und Schwester Tanja Maria haben uns aufgetragen, den Bäcker Josef Kaloj zu grüßen, den die Missionsschwester für einen „bunten Hund“ hält. Auch Helene Glas und das Ehepaar Fehn hatten uns schon von dem umtriebigen und geschäftstüchtigen Mann aus Barthaus erzählt. Josef Kaloj kennt natürlich auch in Barthaus jedermann.

Im breiten Dialekt, der vertraut klingt, begrüßt er uns vor seinem Geschäft: „Brauch ma Deitsch? Österraichisch? Joschi hoaß i – und es?“ Es klingt wie eine Mischung aus Waldviertlerisch und Mühlviertlerisch mit steirischer Prägung, wenn Herr Kaloj spricht. Eindeutig geklärt ist es freilich nicht, woher die ursprüngliche Bevölkerung stammt. „Mia sprechen an oiden oberösterraischischn, Mühlviertler Dialekt. Des is gweist auf da Grenz Böhmen, Niederösterreich, Oberösterreich. Von dort stammen wir.“ Die Vorfahren seien um 1750 gekommen, glaubt Herr Kaloj.

Barbovo wurde, so die Quellen, ab 1763 von 28 Bauernfamilien aus Kleinberg und Kleinwedel oder Kleinzvedl besiedelt. Kleinzvedl könnte auf eine Waldviertler Herkunft hindeuten, wo es im Bezirk Waidhofen an der Thaya eine Ortschaft namens Kleinzwettl gibt. Sprachwissenschaftliche Studien sprechen allerdings eher dafür, dass die Einwanderer aus späteren Wüstungen im Böhmerwald oder im westlichen Südmähren nach Transkarpatien gekommen sind. Auch in der mündlichen Überlieferung wird die Urheimat eher im Böhmerwald vermutet. Die Zuzügler bauten in dem ursprünglich ruthenischen Dorf eine Gasse und blieben unter sich. Die erste deutsch-ukrainische Mischehe soll erst im Jahr 1974 geschlossen worden sein.

Die ersten sechs Familien in Barthaus hätten Tangel, Eder, Tandler, Schin, Kreitsch und Winkler geheißen. Lange sei untereinander geheiratet worden, am besten zwischen den Barthausern selbst. „Wir passen nicht mit den Franken zusammen. Die sagen: ,Grüß Gott!‘ und wir sagen ,Gelobt sei Jesus Christus!‘, das geht nicht zusammen“, meint Herr Kaloj durchaus ernst.

Iosif Iwanowitsch Kaloj, wie in seinen offiziellen Dokumenten steht, wurde 1956 in Barthaus geboren. Sein Großvater, ein geborener Kölbl, habe zur Zeit der Ende des 18. Jahrhunderts einsetzenden starken Magyarisierung aber seinen Zunamen ändern müssen, um weiter als Gendarm arbeiten zu können. „I bin mit sieben Jåhr in die Schul gånga und hab koa Wort Ukrainisch net keinnan“, sagt Herr Kaloj. Das war in der sowjetischen Zeit. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs war Transkarpatien Teil der habsburgischen Doppelmonarchie.

Er selbst habe Veterinärmedizin in Lemberg studiert, danach habe er in der Kolchose auch als Tierarzt gearbeitet. Später habe er auf seinem Grund und 400 Hektar gepachteter Fläche Schafe gezüchtet. „Hochgekommen“ sei er aber mit dem Autohandel. Mit dem Gewinn habe er im Jahr 1998 seine Bäckerei eröffnen können. Mittlerweile habe er zwölf Angestellte, die rund um die Uhr arbeiten würden.

Ein Auswanderer, der auf Kurzbesuch in seiner alten Heimat vorbeischaut, kommt zum Einkaufen. „Ich bin der Eckenberger Walter, wir sind vor 20 Jahren weggezogen. Ich habe eine Ukrainerin aus unserem Dorf geheiratet. Wir besuchen meine Schwiegereltern“, erklärt der junge Mann mit norddeutschem Tonfall.

In Barthaus gebe es heute nur noch ein paar wenige deutschsprachige Familien. Zwei seiner Brüder seien nach Deutschland ausgewandert, erzählt Herr Kaloj. „Es dürfen nicht alle auswandern, sonst wird die Kirche zugesperrt und der Friedhof verödet. Es muss jemand dableiben.“

Er selbst habe eine Ukrainerin geheiratet, an Nachfahren zwei Söhne und drei Enkel. „Acht Leute sitzen noch in der katholischen Sonntagsmesse, darunter auch meine Frau. Sie hat vom griechisch-orthodoxen zum katholischen Glauben gewechselt.“ Zum Kirchweihfest würden aber auch stets viele Barthauser Auswanderer aus Deutschland heimkehren. In der Schule werde Deutsch nur noch als zweite Fremdsprache unterrichtet, doch die Lehrerin sei der deutschen Sprache kaum mächtig. Er selbst spreche fließend Ungarisch, Ukrainisch und Deutsch.

Er habe freilich auch erwogen, nach Deutschland auszuwandern. Nach Österreich könne er nicht gehen, dort bekomme er keine Unterstützung. Deutschland habe sich verpflichtet, die Ukrainedeutschen aufzunehmen, Österreich hingegen nicht. „I kann morgen nach Deitschland gehen, i hab den Aufnahmebescheid. Aber i wüll ned. Hier bin i wer, dort bin ich nichts. Auf unserer Straße bin i der heimliche Bürgermeister“, lächelt Herr Kaloj stolz.

Zurück in Oberschönborn besichtigen wir die Kirche. Als einer der letzten Deutschsprachigen des Dorfes wirkt Eugen, offiziell Jewgenij, Litschauer mit seinen 82 Jahren noch immer als Kirchdiener. Vor dem Krieg seien hier viele Ungarn gewesen, er spreche daher ihre Sprache, Ukrainisch, Deutsch und „Schwobisch“. „Wenn zwei Barthauser reden, verstehe ich aber gar nichts“, verrät Eugen Litschauer schmunzelnd.

Wer keine Angst vor den Russen gehabt habe, sei nach dem Krieg geblieben. Alle anderen seien gegangen. In den frühen Fünfzigerjahren habe er als Soldat für die Russen dienen müssen. „Uns Karpartenlandische haben sie in der ganzen Sowjetunion verteilt. Sie haben geschaut, dass nur ja nicht zwei Karpatenlandische zusammenkommen“, erinnert sich Herr Litschauer.

Mit seinen drei Kindern, die alle hier geblieben seien, rede er „Schwobisch“. Es gebe hier vielleicht noch 25 Familien mit Deutschstämmigen, die jedoch bereits vermischt seien. Seine Schwester sei nach Deutschland gezogen, er sei nicht einmal dort gewesen. Lieber sei er im deutschen transkarpatischen Club aktiv, der sich alle zwei, drei Monate bei der Plankenburg treffe.

Frau Glas, ihre Tochter und der Schwiegersohn werden bleiben. Ebenso Frau Antonik, Herr Kaloj und Herr Litschauer. Langsam können wir die Seelen dieser Menschen, die von den Leiden und Freuden ihres Lebens erzählen, verstehen. Gebunden an die Orte ihrer Geburt, der Kindheit, Jugend und des Erwachsenseins und Alterns, scheinen die letzten Beharrlichen an den Schönborndörfern mit einer Hartnäckigkeit zu hängen, mit der man sich nur an jene Dinge klammert, die einem manchmal auch wehtun.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2016)

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