Auf der „Hörbig“ fängt alles an

Wie der Orgelbauer Alois Hörbiger von der Tiroler Wildschönau ins Weinviertel kam: zum 200. Geburtstag des Ahnherrn einer österreichischen Schauspielerdynastie.

Poysbrunn im Weinviertel. Wir schreiben das Jahr 1859. Der aus der Wildschönau in Tirol ausgewanderte Bergbauernsohn und Orgelbauer Alois Hörbiger konstruiert eine neue Orgel für die Pfarrkirche des niederösterreichischen Ortes. Klangkörper und Orgelgehäuse fertigt er in Eigenregie. 150 Jahre später, am 27. Dezember 2009, wird die fachkundige Wiederherstellung der Alois-Hörbiger-Orgel in Poysbrunn bei klirrender Kälte in der an diesem Tag zum Bersten vollen Kirche gefeiert.

Oft werden die alten Orgeln in Dorfkirchen gar nicht restauriert, sondern ganz einfach durch neue Instrumente ersetzt. Der 350 Hauptwohnsitz-Einwohner zählende Ort Poysbrunn hat sich wohl auch deshalb für die Renovierung seiner Orgel entschieden, weil das Instrument laut der Pfarrchronik des Nachbarortes vom Urgroßvater der Schauspielerbrüder Paul und Attila Hörbiger, dem Ururgroßvater der Schauspielerinnen Elisabeth Orth, Christiane und Maresa Hörbiger, kurzum vom Ahn einiger im österreichischen Kulturleben emsig mitspielender Kreativer gebaut wurde. Was aber führte diesen Alois Hörbiger, dessen Geburtstag sich heuer zum 200. Mal jährt, von der Wildschönau ins Weinviertel?

Am 17. Februar 1810 wird Alois Hörbiger in Thierbach, einem kleinen Ort über dem Hochtal der Wildschönau, auf 1250 Meter Seehöhe geboren, 1000 Höhenmeter über dem Weinviertler Poysbrunn. Im Tiroler Thierbach wetterte im Jahr vor seiner Geburt Josef Speckbacher heftig gegen die von Napoleon mobilisierten Franzosen und forderte im Gasthof Sollerer auf, Andreas Hofer Folge zu leisten, und zwar mit allen Mitteln. „Wer kein Schießgewehr hat, der möge Spieße oder Mistgabeln an lange Stangen machen und damit sein Möglichstes tun“, soll Speckbacher gesagt haben. Drei Tage nach Alois Hörbigers Geburt feuerte ein Erschießungskommando in Mantua auf Andreas Hofer und streckte den Anführer der Tiroler Kämpfer nieder.

Alois Hörbigers Eltern, Alois Hörbiger senior und Maria Therese, geborene Sandbichlerin, hatten vor ihm schon mehrere Kinder bekommen, von denen jedoch keines länger als vier oder fünf Jahre lebte. Ein früh verstorbener Sohn war schon auf den Namen Alois getauft worden. Des jungen Alois Hörbigers Werdegang war eigentlich vorgezeichnet: Als erster – überlebender – Sohn sollte er einmal den familiären Hof, die „Hörbig“, übernehmen. Kurz vor dem Weihnachtsabend des Jahres 1829 – so will es die Legende – bringt eine technische Panne eine völlig neue Wendung in Alois Hörbigers Lebenslauf. Die Orgel in der Thierbacher Kirche funktioniert nicht mehr. Spontan springt der lediglich landwirtschaftlich ausgebildete Alois auf Bitten des Pfarrers als Orgelreparateur ein. Der erste Beweis der kreativen Ader der Hörbiger-Familie ist erbracht: Am 24. Dezember 1829 feiert die Thierbacher Gemeinde den Heiligen Abend im Wohlklang einer wieder funktionierenden Orgel.

Das Erfolgserlebnis der Thierbacher Gemeindebeglückung mittels Orgelreparatur motiviert den jungen Hörbiger zum Antritt einer Lehre beim Orgelbauer Joseph Mitterer. Das bedeutet, die heimatliche Wildschönau hinter sich zu lassen. Mitterer hat seine Werkstätte im 130 Kilometer von Thierbach entfernten Lienz. Schon nach knapp zwei Wochen „Ausbildung“ bricht Alois Hörbiger seine Lehre ab und beginnt auf eigene Faust rund um Lienz Orgeln zu reparieren und vor allem auch zu bauen. Bereits 1833 verzeichnet die Kirchenchronik von Virgen in Osttirol den Bau einer Orgel des damals 23-jährigen Alois Hörbiger in nur sechs Wochen. Mitbeteiligt an der Entstehung der Virgener Orgel ist Alois' jüngerer Bruder, Bartlmä, der ebenfalls den Beruf des Orgelbauers ergriffen hat. In den folgenden Jahren werden die ehemaligen Berg- und nunmehrigen Orgelbauer-Brüder rund um Lienz und in Kärnten mit ihrem zum größten Teil autodidaktisch erworbenen Fachwissen unzählige Reparaturarbeiten an Kircheninstrumenten durchführen. Alois Hörbiger wird in der Pfarrchronik von Virgen das „verdiente Zeugniß ertheilt“, die Orgel mit acht Registern „zur allgemeinen Zufriedenheit sowohl der Kirchenvorstehung als des gesamten Pfarrgemeinderathes“ errichtet zu haben. Auch über die moralischen Qualitäten des Handwerkers gibt die Chronik Auskunft. Er habe sich während „seines 6 wochentlichen hiesigen Aufenthaltes durch einen soliden, gut moralischen Charakter“ ausgezeichnet.

Sogar die Medien berichten bereits vom emsigen Orgelbauer. Der „Tiroler Bothe“ lobt im Jahr 1837 das Multitalent Alois Hörbiger. Er zeichne verantwortlich für sämtliche „Tischler-, Schlosser-, Bildhauer- und Schneidarbeiten, ohne anderer Behülfe zu bedürfen“. Im selben Jahr, drei Jahre nach seiner Hochzeit mit der aus Dellach in Kärnten stammenden Viktoria Ertl, wird in Lienz Alois Hörbigers erstes Kind geboren: Die Tochter Amalia wird die Großmutter der Schauspielerbrüder Paul und Attila Hörbiger werden. Kurze Zeit nach der Geburt des Sohnes Wilhelm, im März 1839, kommt es zu einer bedeutenden Ortsveränderung. In der Umgebung seines Wohnsitzes in Lienz hat Alois Hörbiger immer wieder in Geräteschuppen der Tiroler und Kärntner Gegend provisorische Orgelbaustätten eingerichtet. Nun jedoch entschließt er sich, mit seiner Kleinfamilie nach Cilli, damals Untersteiermark, heute Slowenien, zu ziehen, um dort eine fixe Orgelwerkstatt einzurichten. Alois Hörbigers zweiter Sohn, Gottfried („Fritz“), kommt, anderthalb Jahre nach seinem Bruder Wilhelm, bereits in Cilli zur Welt. Beide Söhne werden in die Fußstapfen ihres Vaters treten und ebenfalls den Beruf des Orgelbauers respektive -reparateurs ergreifen.

Das heutige Slowenien erfährt durch Alois Hörbigers Werken einen bedeutenden Aufschwung in Sachen Orgeldichte. Mehr als 15 Jahre verbringt Hörbiger in der Untersteiermark. In diese Zeit ist auch das einzig erhaltene Porträt des Orgelbauers zu datieren. Es zeigt ihn mit zu einem leichten Lächeln gekräuselten Lippen und üppig lockigem Haar. Ein steifer Hemdkragen klemmt ihm sein spitzes Kinn regelrecht ein, und eine orangefarbene Fliege ziert seinen Hals. In der Hand hält er ein für den Orgelberuf typisches Utensil – ein Stimmhorn zum Stimmen von Labialpfeifen ohne Stimmschlitz.

Schon als er seine Werkstätte in der Untersteiermark betreibt, dürfte Hörbiger auch einen längeren Wien-Aufenthalt absolviert haben. Mehreren Kurzbiografien, die letztlich derselben Quelle entspringen, ist zu entnehmen, dass sich der Orgelbauer um 1849 in der Residenzstadt aufhält, um dort die Orgel für die neu erbaute Meidlinger Pfarrkirche zu errichten. Vermutlich wohnt er nur wenige Schritte von der Kirche entfernt, in der Krichbaumgasse. Umso bemerkenswerter, dass in der Meidlinger Pfarrchronik jegliche Hinweise auf den Orgelbau und auf den Orgelbauer fehlen.

Von sich reden macht Alois Hörbiger jedenfalls mit der steten Weiterentwicklung orgelähnlicher Instrumente und neuer Klangfarben. Bereits 1827 arbeitet er an einem Instrument, „welches die Töne vermittelst belederter Stahlgabeln durch die Friktion einer umzutreibenden Walze hervor bringen soll“.

Besonderes Aufsehen erregt Hörbiger mit einer Art Orgelableger, einem eigens konstruierten Instrument namens „Vox Humana“. Sogar Kaiser Franz Joseph bewundert dieses Instrument, das „nur aus einer Reihe von Zungen, folglich nur aus einem Register von sechs Octaven“ besteht und „welche in ihrer eigenthümlichen Klangfärbung bei Unterstützung eines Chores oder Begleitung einer Singstimme sich mit der menschlichen Stimme amalgamiren“. Für diese Leistung verleiht der Kaiser dem Instrumentenbauer die Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft.

Die Entwicklung einer weiteren Erfindung, des sogenannten Harmonikons, ist indirekt ausschlaggebend dafür, dass Alois Hörbiger seine beruflichen Zelte in Cilli völlig abbricht und nach Atzgersdorf bei Wien zieht. Anlässlich des Baus der Altlerchenfelder Pfarrkirche „Zu den sieben Zufluchten“ wird 1856 auch der Bau einer Orgel ausgelobt. Alois Hörbiger stellt das kostengünstigste Angebot. Außerdem habe er „das Vertrauen der Kirchenbaukommission gewonnen und sei der einzige Oesterreicher, der mit konkurrirte“. Den zuständigen Architekten für den Kirchenneubau, Eduard van der Nüll, beeindruckte überdies Hörbigers Harmonikon, das zu dieser Zeit gerade im Redoutensaal der Hofburg präsentiert wird.

Im Jahr 1856 kommt es wahrscheinlich zur Übersiedlung von Cilli nach Atzgersdorf. Ein genaueres Datum des Grund- und Hauserwerbs liegt nicht vor. Das dementsprechende Dienstbuch, das Auskunft über das Anwesen Atzgersdorf Nr. 49 erteilen könnte, wo Alois Hörbiger auch seine Orgelwerkstatt errichtet, ist unauffindbar.

In den nächsten Jahren, bis 1860, wird Hörbiger mit dem Neubau seines Opus magnum, einer 42-registrigen Orgel in der Altlerchenfelder Kirche, beschäftigt sein. Dass er sich innerhalb dieses Zeitraums nicht nur diesem Großprojekt widmet, geht aus den unterschiedlichen Pfarrchroniken des niederösterreichischen und Wiener Einzugsgebiets hervor. Hörbiger zeichnet unter anderem für die Orgelerweiterung in der Grinzinger Pfarrkirche verantwortlich. Nur wenige Schritte entfernt, in der Himmelstraße, wird ein Dreivierteljahrhundert später Alois Hörbigers Urenkel Attila mit seiner Frau, Paula Wessely, Domizil beziehen.

1857 vermerkt der Pfarrer von Höflein bei Bruck an der Leitha, Niederösterreich, über den örtlichen Orgelneubau durch Alois Hörbiger in der Kirchenchronik: „Ich habe bei Gelegenheit des ersten Orgelspieles vorher eine Predigt über den Werth und die Bedeutung der Orgel gehalten und dann auch den Orgelbauer Hörbiger rühmlich erwähnt, der noch bis 9. Juni mit Nachbesserung bei der Orgel beschäftigt war und an diesem Tage, nachdem er bereits auch den Betrag bis auf eine zehnprozentige Kaution ausbezahlt erhalten bekommen hatte, wieder verließ. Er zeigte sich während seines Hierseins wohl als geschickter, aber auch dem Trunke sehr ergebener Mann.“

1859 konstruiert Hörbiger jene Orgel in Poysbrunn, die 150 Jahre später renoviert und feierlich eingeweiht werden wird. Auffällig am Poysbrunner Instrument ist das Fehlen eines Dokuments, das sich normalerweise in der Windlade der Orgel findet und über ihre Entstehung informiert. Der Orgelbauer Ulrich Aschermann hat die Poysbrunner Orgel Stück für Stück zerlegt, renoviert und rekonstruiert. Auffallend ist auch das Fehlen eines Täfelchens, auf dem sich der Orgelbauer Alois Hörbiger mit seinem Namen verewigt hätte.

Was sämtliche Groß- und Kleinprojekte verbindet, die Hörbiger während seiner Wiener Zeit übernimmt, ist der große Verzug, mit dem die Projekte zu Ende geführt werden. Bei der Altlerchenfelder Kirchenorgel kommt es zu einer Verdopplung der Kosten, weil sich der Orgelbauer bezüglich Materialkosten, Zeitaufwand und Mitarbeitergehältern verschätzt habe. Da Anfang 1860 laut Altlerchenfelder Pfarrchronik Alois Hörbiger „von seinen Gläubigern hart gedrängt wurde, um Geld zu bekommen“, wird am 26. Jänner 1860, obwohl die Orgel noch nicht ganz fertig ist, eine vorzeitige öffentliche Orgelprobe angesetzt.

Die Meinungen über die Qualität der Orgel sind geteilt. Einem Verriss in der „Deutschen Musik-Zeitung“ begegnet Hörbiger mit einer unglaublich scharfen Replik in der „Wiener Zeitung“: „Nachdem die erwähnten Herren sich verabredeterweise zusammengefunden und sich Eingang zu meinem Werke zu verschaffen gewusst hatten, krochen sie zuerst zu den ,Spannbälgen‘ hinab, um sich den nötigen ,Wind‘ zu ihrer Veröffentlichung gegen mich zu holen, und glaubten dabei finden zu müssen, dass ich selbst viel zu wenig ,Windmacher‘ sei, um mit meiner Kunst reüssieren zu könne, da zwei Bälge nicht so viel Luft schöpfen könnten, als ein Werk von so großer Stimmenzahl brauche. Mit dieser Behauptung blamieren sich die Herren bereits im Vorhinein so gründlich, dass es mich selbst mit Mitleid erfüllt und ich mich deshalb herablasse sie zu belehren, dass das Gebläse nicht, wie sie behaupten, aus nur einem ,Magazinbalg‘, sondern aus zwei großen Tragfaltenschöpfern und drei großen Magazinen mit einem Einlassbalg und zwei Regulatoren besteht, und dass die Orgel daher, selbst wenn sie um noch zehn Register größer wäre, immerhin mehr Wind zur Verfügung hätte, als diese Herren alle zusammen in ihrem Leben noch machen werden.“

Damit beginnt Hörbigers Schicksalsjahr 1860. Ende September stirbt sein Bruder Bartlmä während einer Orgelreparatur in St. Daniel im Gailtal im Alter von nur 47 Jahren, Ende November wird Alois Hörbiger im Alter von 50 Jahren ungeplant Großvater. Seine Tochter Amalia bekommt ein „lediges Kind“.

In der Geburtsmatrikel von Johann („Hanns“) Hörbiger, geboren am 29. Novemer 1860, klafft eine große Lücke bei den Angaben des Vaters. Ein Mitarbeiter von Alois Hörbiger namens „Herr Leeb“, der für die künstlerische Ausgestaltung der Orgel in der Altlerchenfelder Kirche sorgt, soll der Vater des Hanns Hörbiger sein. Die Legende will es, dass der uneheliche Sohn Hanns, ein äußerst talentierter Zitherspieler, Jahre später zu Fuß nach Paris gewandert sein soll, dort mit seinem Vater in einem Wirtshaus am selben Tisch frühstückt und, ohne sich erkennen zu geben, seine Heimreise antritt.

Die nächsten Jahre, die Alois Hörbiger mit seiner Familie in Atzgersdorf verbringt, sind geprägt von ständigen Nachbesserungen der reparierten und neugebauten Orgeln und von einer immer drückender werdenden Schuldenlast, die 1865 zur Versteigerung des Hörbigerschen Anwesens in Atzgersdorf führt. Dem Orgelbauer bleibt offensichtlich keine andere Möglichkeit, als in die ungarische Reichshälfte auszuwandern und sich im Banat neu zu etablieren. Sein Enkel Hanns ist schon früher bei den Eltern von Alois Hörbigers Frau Viktoria in Kärnten untergebracht worden.

Im Banat sind die ersten Hinweise auf Alois Hörbiger in dem Ort Großbetschkerek (Zrenjianin, heute Serbien) um das Jahr 1867 auszumachen, wo er aufgrund seines guten Rufs als Orgelbauer in der Umgebung Reparaturen übernimmt. Gemeinsam mit seinen Söhnen Wilhelm und Gottfried baut er 1871 die Orgel in der St. Gerhardkirche in Werschetz (heute: Vršac, Rumänien). Hier lässt er sich auch mit seiner Familie nieder. Sein Enkel Hanns, der seine letzten Gymnasialjahre bei seiner Mutter und seinem Stiefvater in Werschetz verbringt, wird hier eine Schmiedelehre absolvieren, bevor er 1879 völlig mittellos in Wien sein Studium an der Maschinenbauschule des Technologischen Gewerbemuseums beginnt. 1895 wird er ein reibungsfreies und massearmes Ventil patentieren lassen, das unter dem Namen Hörbiger-Ventil bis heute produziert wird. Hanns Hörbiger wird der Vater der „Welteislehre“ und von vier Söhnen. Paul und Attila sind die wohl bekanntesten.

Alois Hörbiger stirbt am 7. Mai 1876 in Semlin (heute: Zemun/Serbien) in der Nähe von Belgrad, vermutlich während einer Orgelreparatur, im Alter von 66 Jahren. Ein im April in der 1000 Kilometer entfernten Wildschönau abgeschickter Brief seines Bruders Michl, der ihn über den Tod seines Bruders Andre informieren will, erreicht den Orgelbauer nicht mehr. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.