Durch Staub und Schimmel

Archive sind Systeme der Deutung, Orte der Sucht und Macht. Der richtige Riecher ist genauso notwendig wie fundierte Quellenkritik. Über das Arbeiten zwischen Aktenbergen.

Der eigentliche und unverwechselbare Geschmack Europas ist in den Archiven zu finden. In abgelegenen, kaltgepressten Papieren. Die Aktendepots sind gespickt mit lokalen, regionalen und nationalen Aromen, die sich immer dann entfalten, wenn sie mit geistiger Auseinandersetzung versetzt werden. Archive sind, Küchen ähnlich, Orte der Sucht und der Macht. Im Dunkel ihrer Räume fällt manches Mal durch ein Nadelöhr der Erkenntnis Licht auf die Geschichte – trüb meist, bisweilen dämmernd, selten grell. Einen verlässlichen Kompass durch die äußeren Architekturen und inneren Ordnungen des Wissens, ihre Hoheiten und Niederungen, ihre Prinzipien von Provenienz bis Pertinenz, gibt es nicht. In der ungeschriebenen Präambel für Nutzende könnte es heißen: „Nur wer sucht, findet. Und wer etwas findet, hat vermutlich anderes gesucht.“

Mit solchen und anderen Paradoxien muss man in Archiven nicht nur rechnen, sondern leben. Hier gilt es, immer neu die eigenen Ressourcen zu taxieren – Vorwissen, Aufmerksamkeit, Motivation –, um Illusionen und Überforderungen zu entgehen. Und etwas zu kultivieren, was man den „richtigen Riecher“ nennt. In der Auseinandersetzung mit historischen Akten empfiehlt es sich, die Wahrnehmungen in einer Art abgesichertem Modus laufen zu lassen. Auf einer Frequenz, die einerseits stetig und diszipliniert aussondert, andererseits Irritationen registriert und das Glück des Findens nicht ausschließt.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.