Expedition Europa: im Grätzel Nr. 95 der ukrainischen Eisenhüttenstadt Kriwoj Rog.
Mitternacht im Zentrum der zentralukrainischen Eisenhüttenstadt Kriwoj Rog. Dampf oder Rauch entweicht aus Kanaldeckeln, aus der brüchigen Betondecke vor dem gewaltigen Zirkus-Rundbau steigt dieses Weiße dutzendfach empor, scharf und melodiös zischend.
Ein hoffnungsloses Land wählt einen Präsidenten. Viele sagen, der Ausgang ist wurscht, denn in einem halben Jahr kommt sowieso eine Neuwahl oder ein Aufstand oder die Apokalypse. Die gegen jede Vernunft noch hoffen, haben einen Komiker an die Spitze der Umfragen gehievt. Wladimir Selenskij, 41, ist von hier. Er hat seine prägenden Jahre im zentralen Grätzel Nr. 95 verbracht: Gewohnt im Murawejnik, einer spätsowjetischen Reihe 16-stöckiger Plattenbauten, die wegen ihrer Dichte mit der chinesischen Mauer verglichen wird. Gelernt im Gymnasium Nr. 95, in das auch seine Frau und die Kernakteure seiner Comedy-Truppe gingen. Berühmt geworden mit einer Show, die wie seine Produktionsfirma das „Kwartal Nr. 95“ im Namen trägt.