Michael Köhlmeier: Wenn ich „wir“ sage

Wer zählt zu meinem Wir – und wer nicht?
Wer zählt zu meinem Wir – und wer nicht?Teich / Caro / picturedesk.com
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Eine Eigenart meiner Kindheit bestand darin, dass ich mit Dingen redete. Mit meinem königsblauen Samtpullover oder mit jedem meiner Buntstifte. Von der Freundschaft: eine Nachschau in der eigenen Vergangenheit – und bei Ralph Waldo Emerson.

Ralph Waldo Emerson kann bisweilen ein unbequem verquerer Denker sein, der mit Schmeichelstimme verspricht, uns beizustehen, wenn wir beim Denken im Vagen stecken bleiben, und uns in seine pantheistische Idylle lockt – „... alle natürlichen Dinge machen einen verwandten Eindruck, wenn der Geist ihren Einflüssen gegenüber offen ist ...“ –, und kaum trauen wir uns aufzuatmen, weil wir meinen, wir sähen klarer, zieht er uns die Haut ab: „Wir dürsten nach Anerkennung, doch wir können dem, der uns anerkennt, nicht vergeben.“

Solche Sätze lassen uns den Mund offenstehen. Da habe ich ihn gerade als meinen Freund bezeichnet, nicht zuletzt, um ein wenig von seinem Glanz auf mich zu lenken – eben damit ich „Anerkennung“ erfahre, ich geb's zu –, schon stellt er mich bloß, indem er sich dagegen verwahrt, von mir vereinnahmt zu werden. Und mir bleibt nichts anderes, als nach den Fragen zu suchen, die zu seinen Antworten passen.

Was bitte haben wir dem zu vergeben, der uns lobt? Anerkennung ist doch Lob, oder nicht? Sie ist sogar mehr als Lob, denke ich. Lob meint eine Sache, die ich gut gemacht habe; Anerkennung meint mein Wesen, mich ganz und gar, meine Existenz. Hat unser bisheriges Leben denn nicht das gerade Gegenteil bewiesen? Nämlich, dass wir – umgekehrt – dem nicht vergeben können, der uns die Anerkennung verweigert. Und ist es nicht vielmehr so, dass Anerkennung noch vor allen anderen Zuwendungen unsere Eitelkeit weckt, die unbedacht bereit ist, dem, der uns anerkennt, alles zu vergeben, ihm sogar zu vergeben, wenn er uns anlügt? Und sollte seine Anerkennung nur gespielt oder geheuchelt sein, wir vergeben ihm. Weil uns vorgespielte Anerkennung lieber ist als gar keine. Er hat sich, halte ich ihm zugute, wenigstens die Mühe gemacht, so zu tun, als würde er mich anerkennen. Seine Lüge war immerhin Höflichkeit. Und der Heuchler – bei ihm vermuten wir, dass er entweder Angst vor uns hat, was uns wieder schmeicheln würde, oder dass er von uns etwas will, was uns noch einmal und sogar noch lustvoller schmeichelt, denn immerhin sieht er in uns jemanden, der etwas zu geben hat, und wer etwas zu geben hat, der stellt etwas dar. So sehr dürsten wir nach Anerkennung, dass wir Höflichkeit und Heuchelei gnädig durchgehen lassen. Er braucht nur dreimal so zu tun als ob, schon glauben wir ihm, schon nehmen wir ihm sein Spiel ab und erklären es für wahr. (Erst ab dem fünften, sechsten, siebten, achten Mal glauben wir ihm nicht mehr – aber das ist eine andere, gesondert zu untersuchende Sache.)

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