Ohnsorg oder: Die äußerste Möglichkeit

Man muss das Feste feiern, denn wenn es fällt, kann es zerbrechen. Zum 40. Todestag Kurt Ohnsorgs: über seine Keramik-Kunstwerke und über deren Schönheit.

Was sagt es über etwas, und was sagt es über mich, wenn ichsage: Das ist schön. Es gibt kein andres Wort dafür, und es charakterisiert nichts, wenn etwas, das ich sehe oder womit ich umgehe: schön ist. In dieser Schönheit spiele ich mich ab, obwohl sie mich nicht hineinlässt, also spiele ich(mich) mit ihr, denn sie stößt mich ja fort, und wo soll ich mich dann abspielen? Abspielen von Anfang bis zum Schluss oder irgendwo dazwischen, aber von einem Punkt zum anderen. Diese Keramik-Kunstwerke Kurt Ohnsorgs, deren Möglichkeit es ist, unvergleichlich (schön) zu sein, machen von ihrer Möglichkeit auch Gebrauch, und ich kann sie in Gebrauch nehmen. Die meisten von ihnen sind sogar zum Gebrauch bestimmt, nicht allen sieht man es an, man sieht nicht allen an, wo man Blumen oder Pflanzen hineinstecken kann (das Weiche, das die Kunstwerke ursprünglich waren, wurde befestigt, durch Hitze, wurde mit unglaublichen Farben, denen ich schon glauben muss, denn sie ändern sich ja nicht mehr, bemalt, ich meine, diese Farben wurden den Kunstwerken aufgetan, als würde man diesen Farben etwas auf den Teller, der sie sind, auftun, auflegen, zum Konsumiertwerden bestimmt, also das Weiche wurde hart gemacht, im Feuer gehärtet, aber nein, anders, die Schönheit dieser Gegenstände will mich dazu bringen, dass ich etwas anders sagen möchte, wie es noch nie gesagt worden ist, aber ich habe keine Worte dafür; also das Weiche wurde fest, damit etwas hineingesteckt werden kann, oben ist ein Loch, sind mehrere Löcher, sind Schienen, sind wasweißich für Öffnungen, ein subversiver Akt, denn das Weiche, das hart wird, zeugt etwas, hier aber muss es hart werden, um etwas in sich aufzunehmen), aber die meisten sind dafür bestimmt, etwas zu enthalten, hineingesteckt zu bekommen. Ist das, was man hineintut, essenziell notwendig für diese Keramik-Gegenstände? Oder Beiwerk? Ich weiß es nicht.

Oben führen die Kunstwerke ins Dunkel hinein, wie jede Kunst, dieser aber kannman dabei zuschauen, ohne dem ausweichen zu können, dass die Schwierigkeit des Schaffens ins Feste (Gefestigte) geführt hat, man muss das Feste feiern, denn wenn es fällt, kann es zerbrechen, dann ist es zerstört (Keramik ist zerbrechlich, das ist nun einmal so), meine Erkenntnisfähigkeit ist begrenzt, sie kommt aus dem Dunkel und führt ins Dunkel, wie diese Gegenstände auch, aber sie wurden zum Erkennen sichtbar gemacht, zum Erkennen des Schönen, für das ich kein andres Wort kenne, also muss ich von Erkennen sprechen, was wiederum bedeutet, dass es anderes gibt, das ich auch kenne, hier aber etwas erkenne, das ich schon einmal gesehen habe, sogar ständig sehe, Vasen, Schalen, Schüsseln, Teller, Gerätschaften für die Durchschnittlichkeit des Lebens, aber diese Geräte schaffen die Durchschnittlichkeit des täglichen Gebrauchs sofort wieder ab. Sie schaffen ihren eigenen Gebrauch mittels Schönheit wieder ab, denn man sieht ja nur noch diese Schönheit, man kann gar nichts mehr sagen. Man kann ein paar Blumen und Gräser in diese Vase hineinstecken, aber die Hand stockt einem dabei, so wie der Erd-Teig gestockt ist, aus dem das geformt wurde, erschrocken vor sich selbst, aber von einer energischen Hand auf einer Scheibe (die ganze Welt ist keine, doch es kann eine Welt draus werden) angetrieben zu erscheinen. Ist Schönheit etwas, das einen stumm macht, weil es zum Erscheinen gezwungen worden ist von einem Künstler, und man sieht dem Gegenstand an, dass er zwar uns zuliebe jetzt dasteht, und zwar deshalb, weil er halt gemacht worden ist?

Aber er ist doch eigenmächtig, dieser Gegenstand, aus Eigenem mächtig, in dieser Schönheit unantastbar, auch wenn er etwas oder jemandem dienen soll, was hier als Funktion in die Werke schon mit eingearbeitet ist. Diese Werke sind innen hohl wie wir, aber in dieser zerschmetternden (ich nehme halt dieses Wort, in dem sowohl das Niedergeschmettertsein des Ich vor der Schönheit als auch die Möglichkeit des Zerbrechens und Verschwindens enthalten ist) Schönheit ist das unerheblich, man kann sie aufheben, denn sie sind erheblich angreifbar, das gehört zu ihnen wie Form und Farbe und Glasur, verlegen versuche ich sie zu erfassen, es geht nicht, ich kann sie anfassen, aber nicht erfassen. Dass diese Schönheit vergänglich ist, liegt nicht in ihrer Begrenztheit oder darin, dass etwas nicht vollkommen an ihnen wäre, es liegt in der Unvollkommenheit meines Erkenntnisvermögens. Ich kann die einzelnen Kunstwerke vielleicht beschreiben (leider nicht gut genug), ich kann aber schonnicht einmal ihre Farbe benennen (obwohl es sicher für jede dieser Farben einen Namen gibt), sie machen mich also verlegen, diese Gegenstände, und zwar verlegen vor mir selbst, ich schaue vor mir selber weg, kann aber von mir nicht absehen, ich kann gar nichts, weil meine Beschreibungsmöglichkeiten so begrenzt sind, und diese Dinge machen mir das klar. Es liegt an den Werken selbst, die erkannt werden wollen, denn sie schieben sich in ihrer Schönheit ja in mein Bewusstsein hinein wie verlegen auftretende Geschöpfe (sie wissen, sie kommen nicht oft vor!), die nur so und nicht anders sein können, aber es liegt an meiner Tumbheit und Unfähigkeit, sie in meine Existenz, in mein Sein einzufügen als eine seiner Möglichkeiten, denn Schönheit ist eine Möglichkeit des Seins. Nur hat sie nicht jeder und nicht jeder Gegenstand. Es ist eine Möglichkeit, die gern ergriffen würde, aber dazu muss man sie erst haben. Für diese Möglichkeit kann man sich anstellen, nur nützt es einem nichts. Sie kann einem hereingereicht werden in den öden Existenzraum. Sie muss aber nicht.

Wir und sie: Wie können gleichzeitig wir und solche Dinge da sein?


Diese wunderbaren Dinge, die Ohnsorg hergestellt hat, haben sehr oft eine Bestimmung, dienen einem Zweck, und es ist eine große Leistung, wenn Schönheit eben auch eine Bestimmung hat, obwohl sie an und für sich ist und für sich gern auch bleiben würde (allerdings: wie sollte sie sich da von anderem abheben?). Das sind Gebrauchsgegenstände, die auch gebraucht werden sollen, und gleichzeitig weisen sie einen streng darauf hin, dass diese Bestimmung vom Benutzer durchgestrichen wird, indem er zu ihrer Nutzung aufgefordert ist. Der Herausgeforderte (im politisch korrekten Sprachgebrauchnennt man Behinderte, und behindert sind wir alle vor der Schönheit als solcher: herausgefordert, challenged) hat diese Bestimmung des Werks ausdrücklich genannt und sogar gezeigt bekommen, aber jetzt findet er keinen Ausdruck dafür, was das ist, das er da benützen soll. Die Schönheit hat ihn, als er ein besonders hübsches Arrangement aus Zweigen in diese Vase stecken wollte, ins Gesicht geschlagen, für einen kurzen Moment ist er blind, geblendet, er soll sich der Bestimmung dieser Gegenstände, die so offensichtlich ist, nicht so offen nähern. Das mögen sie nicht, dass man ihre Möglichkeiten auch ergreift. Bringt man diese Kunstgegenstände an ihr Ende, wenn man sich ihnen, und zwar zu ihrem offensichtlichen Zweck des Offenseins,in das etwas hineinsoll, nähert, oder öffnet man sie, die ja schon offen sind, sind sie das Umschließende für etwas Offenes, erst, indem man sich ihnen nähert? Was macht die Schönheit da schon wieder für einen Blödsinn, indem sie nicht uns schön gemacht hat, was so viel praktischer wäre, denn dann könnten wir sie ja überallhin mitnehmen, nicht uns also, sondern diese Gegenstände? Sollen wir das aus diesen Werken erfahren, dass sie das, was sie sind, nie eigentlich sein werden, indem man sie benutzt als das, was sie sein können oder sein sollen, und sind sie das nicht mehr, weil sie jederzeit (in Scherben, in Splittern) an ihr Ende kommen könnten, vergänglich, wie sie sind? Kann man die eigene Vergänglichkeit an diejenige derKunstwerke halten und die Vergänglichkeiten dann miteinander vergleichen? Erinnert die Vergänglichkeit dieser Schönheit daran, dass wir, indem auch wir vergehen, ebenfalls von woher gekommen sein müssen, so wie diese Werke einmal eine Art Teig gewesen und dann erst zur Schönheit geworden sind? Soll das heißen, dass auch wir selbst so schön seinkönnten wie das Gemachte, da wir ja auchaus dem Nichts kommen, also aus dem Ende, das ein Anfang war?

Man kann diese Dinge ergreifen, man kannmit ihnen machen, was für sie gedacht war von ihrem Schöpfer, aber sie stehen da in ihrer Gewissheit von Schönheit, die aus dem Nichts und der Hand eines Schöpfers gekommen ist (aus Lehm sollen ja Menschen gemacht worden sein, na, sie schauen auch danach aus! Aber diese Dinge aus Keramik schauen nicht so aus, als wären sie aus Lehm, aus Tonerde, aus wasweißich gemacht worden. Wir sind da, sie sind da. Aber wie können gleichzeitig wir und solche Dinge da sein? Dinge, die ihre äußerste Möglichkeit durch einen Künstler erreicht haben, während wir nur erreichen, was wir uns vornehmen und meist nicht einmal das), und aus dieser Gewissheit von Schönheit kann niemehr die Möglichkeit werden, die sie am Anfang in der Hand ihres Schöpfers waren. Sie haben einen Endzustand erreicht, und jetzt können sie sich nicht mehr verändern. Sie haben die Möglichkeit, wie wir zu sterben, vielleicht ist es sogar eine Gewissheit, dass ihnendas irgendwann bevorstehen könnte, dass siedann nie wieder zu dem zusammengefügt werden können, was sie einmal waren, jedenfalls ist unsere eigene Gewissheit eine äußerstunbestimmte, während die Gewissheit dieser Dinge zwar auch unbestimmt ist, aber durch Schönheit gefangen gehalten, festgehalten ist, durch die Klammer der Schönheit, zerbrechlich, aber unverbrüchlich, streng und unerbittlich, diese Klammer lässt sich nicht erweichen, denn es gibt sie nicht.

Die Schönheit: als die Möglichkeit von des Schrecklichen Ende


Diese Kunstwerke lassen sich nicht auslegen,sie lassen sich irgendwo hinlegen, aber nicht auslegen. Sie sind keine Auslegware. Da stehen sie, aber nicht in einer Auslage, wo sie aber genauso gut stehen könnten, jederzeit, in der Gewissheit ihrer selbst, zerbrechlich und gleichzeitig an ihrem Endpunkt angelangt zu sein, den der Künstler für sie bestimmt hat. Sie haben die Möglichkeit, nein, die Gewissheit, einmal zuEnde zu sein (wie jedes Leben sie hat),durch einen Gewaltakt oder durch einen Fall, einen Fall von hoch oben, sie haben diese Möglichkeit, aber wir, wir haben die Sicherheit. Vielleicht ist es das: Die Schönheit hat die Möglichkeit, zu Ende zu sein, wir haben auch noch die Sicherheit dazu, dass es ganz bestimmt zu Ende gehen wird. Das ist das Eigenste, das auch diese Kunstwerke enthalten. Sie sind nicht, was sie sind. Sie sind. Nicht wie wir, und das wissen wir auch. Diese Werke wissen nichts und auch nichts von sich, aber sie enthalten Zeit, indem sie sich selbst enthalten und etwas in sich aufnehmen können, bis es vorbei ist. Das Schöne ist also nicht nichts als des Schrecklichen Anfang, die Schönheit ist nicht weniger als die Möglichkeit von des Schrecklichen Ende. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2010)

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