Drüber der Donau

Der 22. Bezirk umfasst ein Viertel der Gesamtfläche Wiens und wäre mit 160.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt Österreichs. Dennoch tut sich die Donaustadt schwer, zu einem urbanen Gebilde zu werden. Vielleicht könnte man's ja einmal mit Stadtplanung versuchen.

Im Jahr 1911 entwarf k. u. k. Oberbaurat Otto Wagner im Rahmen seiner Studie „Die Großstadt“ einen neuen, urbanen Stadtteil mit 150.000 Einwohnern für einen fiktiven, damals noch nicht existierenden 22. Bezirk. Der im Zenit seiner Karriere stehende Architekt und Stadtplaner konzipierte dafür ein orthogonales Straßennetz mit einer zentralen Hauptachse sowie eine durchkomponierte, geschlossene Bebauung. 50 Prozent der Fläche sollten dabei als Freiraum verbleiben und auf den restlichen 50 Prozent 30.000 Wohnungen sowie sämtliche Einrichtungen entstehen, die ein Bezirk von dieser Dimension braucht. Wagners Wien der Zukunft hätte insgesamt 39 Bezirke gezählt und sich geradezu „unbegrenzt“ ins Umland weiterentwickelt.

Hundert Jahre später erstreckt sich die Donaumetropole – wohlgemerkt mit weniger Einwohnern als damals – durch Einfamilienhaussiedlungen, Einkaufszentren und Gewerbegebiete im Speckgürtel der Stadt zumindest funktional betrachtet tatsächlich kilometerweit nach Niederösterreich hinein, wenn auch nicht in der Form, die Otto Wagner im Sinn hatte. Der 22. Bezirk wiederum präsentiert sich heute als alles andere denn als Produkt stadtplanerischer Weitsicht – um nicht zu sagen, als gebaute Antithese zu Wagners städtebaulicher Vision.

Entstanden ist der 22. von damals 25 Bezirken im Jahr 1938, als aus Wien durch völlig überzogene Eingemeindungen Groß-Wien wurde – die „flächenmäßig größte Stadt des Reiches“. 1954 wurde er dann – deutlich redimensioniert – auf dem Gebiet des bereits städtischen Kaisermühlen, des industriell geprägten Stadlau sowie der ab 1904 sukzessive nach Wien eingemeindeten Marchfelddörfer Hirschstetten, Kagran und Aspern, Breitenlee, Essling und Süßenbrunn erneut aus der Taufe gehoben und mit der Bezeichnung Donaustadt versehen. Damit hat der Bezirk eine ähnliche Genese wie Hunderte österreichischer Gemeinden, die in den 1970er-Jahren zu größeren Kommunen zusammengelegt wurden: Es entstanden politische Gebilde, die bis heute keine wirkliche Einheit darstellen und über kein eindeutiges Zentrum verfügen, deren Namen bloß gemeinsame Nenner sind, aber für die Bürger kaum zur Identifikation taugen.

So bezeichnen sich viele Bezirksbewohner nach wie vor lieber als Esslinger oder Süßenbrunner – und auch die Außenwahrnehmung des 22. Bezirks erfolgt bis heute weniger als Ganzes denn über die ursprünglichen Siedlungskerne. Ganz Österreich kennt Kaisermühlen, viele dank Wolfgang Ambros auch Stadlau – und Aspern sollte aus dem Geschichtsunterricht ein Begriff sein. Kagran und Hirschstetten sind zumindest von den Staumeldungen im Verkehrsfunk geläufig. Aber wer außerhalb Wiens kennt die Donaustadt? Selbst viele Hauptstädter subsumieren die weitläufigen Stadterweiterungsgebiete im Nordosten lieber unter „Transdanubien“.

Dies hätte die Planungspolitik im Rathaus in den vergangenen 50 Jahren aber nicht davon abhalten sollen, die Donaustadt auf Basis ganzheitlicher, langfristiger Konzepte zu einem funktionierenden Stadtteil zu entwickeln – so wie es das Rote Wien in den 1920er- und 1930er-Jahren versuchte: durch klassische Gemeindebauten wie den Goethehof, unweit der Alten Donau, mit seinen vier- bis fünfgeschoßigen Wohnhöfen, großzügigen Grünanlagen und den für die Arbeiterpaläste dieser Zeit typischen Gemeinschaftseinrichtungen – oder auch durch genossenschaftliche Reihenhauskolonien wie die Freihofsiedlung, die größte in sich geschlossene Siedlungsanlage Wiens mit knapp 1100 Wohnungen. Gemeinsam war beiden Ansätzen, dass sie keine Schlafstädte produzierten, sondern im Anschluss an das bestehende Stadtgebiet eine Wohnbebauung in angemessener Dichte, mit hoher Freiraumqualität und urbaner Ausstattung schufen.

Dieser Anspruch der Stadtentwicklung, nämlich die Stadt konzertiert weiterzubauen, fand in den 1950er-Jahren noch Fortsetzung, wie der Marshallhof in Kaisermühlen sowohl mit seiner großzügigen Geschäfts- und Lokalzeile als auch durch seine städtebauliche Positionierung dokumentiert. Die drei 14-stöckigen Wohntürme nahe der Donau – selbstbewusste Ikonen der Nachkriegsmoderne – wurden zu Wahrzeichen des 22. Bezirks, bis sie durch den Hochhausboom der späten 1990er-Jahre, namentlich durch den Wohnpark Neue Donau, überragt und verdeckt wurden. Ab den 1960er-Jahren geriet die Donaustadt mehr und mehr zum Standort für all jenes, wofür sich andernorts in Wien kein Platz zu finden schien – ohne ersichtliches Bemühen, die einzelnen Projekte in einen bezirksweiten Kontext einzubetten.

So wurde an der Erzherzog-Karl-Straße ab 1962 die erste Plattenbausiedlung Wiens errichtet, der noch mehrere Großwohnanlagen „auf der grünen Wiese“ folgen sollten – und das im wahrsten Sinn des Wortes. Denn wo gebaut wird, entscheidet in der Donaustadt bis heute vorrangig der Zufall: nämlich dort, wo gerade ein Grundeigentümer bereit ist, Boden an die Stadt oder an einen Bauträger zu verkaufen. Auf einem abgelegenen, knapp 200.000 Quadratmeter großen Areal des Wiener Trabrennvereins etwa entstand in den 1970er-Jahren die Siedlung Trabrenngründe. Die sechs Höfe mit bis zu 16 Geschoßen umfassten 2400 Wohnungen und bildeten damals die größte Großsiedlung Österreichs – die mit 10.000 Einwohnern die burgenländische Landeshauptstadt in den Schatten stellte.

Eine Stadt am Rande der Stadt also, in der es allerdings an einer angemessenen Nahversorgung ebenso mangelte wie an einem entsprechenden Freizeit- und Kulturangebot, wo Arbeitsplätze genauso fehlten wie eine attraktive öffentliche Verkehrsanbindung. Damit standen die Trabrenngründe für die Situation vieler über den Bezirk verstreuter Wohnquartiere – was die Frage aufwirft, warum trotzdem immer mehr Menschen in die Donaustadt zogen. Anfänglich wohl deshalb, weil die Neubauwohnungen hier im Vergleich zu Altbauten „in der Stadt“ einen hohen Standard boten – sowie ausreichend Wohnfläche zu günstigen Preisen. Die Grünanlagen in den Siedlungen waren für Familien mit Kindern natürlich attraktiv – und die unmittelbare Nähe zum Naturraum, sei es die Lobau, sei es die Alte Donau, ist bis heute ein Argument fürs Wohnen in der Donaustadt. Nicht zuletzt waren Verkehrsstaus oder Parkplatzprobleme in den Außenbezirken mit ihren großzügig ausgebauten Straßen lange Zeit kein Thema, sodass man die relativ weiten Wege in die Arbeit oder zum Einkaufen eben per Auto bestritt.

Dass sich der 22. Bezirk bis Anfang der 1980er-Jahre immer mehr zur Schlafstadt entwickelte, konnte durch andere hier angesiedelte Funktionen nicht wirklich verhindert werden. Im Gegenteil: Betriebe wie das General-Motors-Werk bei Aspern, Wiens zentrale Abfallbehandlungsanlage im Rinterzelt, die größte Mülldeponie des Landes am Rautenweg oder mehrere Kraftwerke – die Donaustadt war bis in die 1970er-Jahre sogar als Standort für Österreichs zweites Atomkraftwerk vorgesehen! – trugen nicht eben zur Urbanisierung des Bezirks bei. Aber auch besser stadtverträgliche Einrichtungen wie die UNO-City oder Wiens größtes Einkaufszentrum, das Donauzentrum, wurden als insuläre Komplexe errichtet, deren städtebauliche Einbindung bis heute nicht befriedigend gelang. So verstärkte jedes neue Projekt den Charakter der Donaustadt als weitläufige Patchwork City nur noch weiter.

Als Mitte der 1980er-Jahre der Wohnungsbedarf der stagnierenden Wiener Bevölkerung mehrheitlich gedeckt war und sich auch die Planungsphilosophie in Richtung kleinerteiliger ökologischer und sozialer Projekte veränderte, schien sich der 22. Bezirk zu konsolidieren. Das transdanubische Stadterweiterungsgebiet diente nun nicht mehr vorrangig der Unterbringung großvolumiger Bauvorhaben, sondern wandelte sich zum – auch cisdanubisch beachteten – Experimentierfeld für Innovationen in Architektur und Städtebau. Otto Häuselmayer, Carl Pruscha und Heinz Tesar etwa schufen am Biberhaufenweg – quasi als Fanal gegen die gesichtslos-monotonen Massenwohnbauten der vorangegangenen Jahre – eine postmoderne Siedlung mit differenzierten öffentlichen Räumen. Ihre Wohnanlage mit zwei- bis dreigeschoßigen Häusern bietet eine nahezu dörfliche Struktur mit einem Platz, einer Gasse und einem Anger.

Am Kamillenweg realisierten Georg Reinberg, Martin Treberspurg und Erich Raith ein für das ökologische Bauen hierzulande wegweisendes Ensemble von Solarhäusern. Mit Holzfassaden, teils unbefestigten Wegen und einem Teich in der Mitte integriert sich die familiäre Siedlung sanft in die Ausläufer der Lobau. Und in der Tamariskengasse realisierte Roland Rainer sein erprobtes Modell des verdichteten Flachbaus mit dem für seine Gartenstädte charakteristischen Wechselspiel aus privaten und öffentlichen Freiräumen.

Mit der Beschaulichkeit am Stadtrand war es nach der Ostöffnung 1989 jedoch schlagartig wieder vorbei, führten der Fall der nahen Grenzen und wenig später der Krieg in Jugoslawien doch zu einem massiven Bevölkerungszuzug. Die infolgedessen beschlossene Wohnbauoffensive der Stadt Wien sollte vor allem nördlich der Donau ihren Niederschlag finden, da der Südraum ohnehin schon im Verkehr erstickte und kaum noch Freiflächen aufwies. So nahm der 22. Bezirk allein in den 1990ern um 30.000 Einwohner zu – und zählt heute ganze 50 Prozent mehr Bürger als noch vor 20 Jahren. Damit ist die Donaustadt nicht nur der am schnellsten wachsende Bezirk, sondern liegt im Ranking der 23 Wiener Bezirke inzwischen schon auf Platz zwei, knapp hinter Favoriten. Es scheint nur mehr eine Frage der Zeit zu sein, dass der flächengrößte Stadtteil auch zum bevölkerungsreichsten wird.

Wiens sogenannte „Zweite Gründerzeit“ ließ Stadtplaner, Bauträger und Architekten ab 1990 selbst an abgelegenen Standorten wieder zu quasi innerstädtischen Bebauungsdichten zurückkehren. Sechsgeschossige Wohnkomplexe wuchsen allenthalben aus bis dahin agrarisch genutztem Boden – ganze Stadtviertel entstanden dort, wo man noch kurz zuvor Glashäuser sah: sei es das neue Wulzendorf, sei es die Erzherzog-Karl-Stadt. Doch bieten sie weder die Großzügigkeit des suburbanen Wohnens noch die urbane Qualität städtischer Quartiere.

Zwar ist die Standardversorgung im Wohnumfeld in der Regel gegeben: Kindergarten, Volksschule, Apotheke und der beinahe sprichwörtliche „Billa ums Eck“. Ein weitergehendes Angebot an fußläufig erreichbaren Läden, Dienstleistern und Gastronomen fehlt – außerhalb der alten Siedlungskerne – aber trotz der inzwischen hohen Bevölkerungsdichte. Was auch nicht verwundert, zumal die Stadtplanung dem Einzelhandel gerade im Nordosten Wiens nahezu ohne Schranken ermöglichte, sich auf der grünen Wiese mit billigster Architektur und überdimensionierten Parkplätzen auszubreiten, anstatt sich mit den – ebenso wenig an funktionaler Durchmischung interessierten – Wohnbauträgern auf eine Nutzung der Erdgeschoßzonen in den Neubauvierteln verständigen zu müssen.

Die Chance, mit dem enormen Bauvolumen für über 50.000 Menschen dem heterogenen Siedlungskonglomerat der Donaustadt eine Struktur zu geben oder gar ein lebendiges Zentrum zu schaffen, wurde jedenfalls verschenkt. Denn auch das ehrgeizigste Projekt zur Urbanisierung Transdanubiens vermochte die stadtplanerischen Ziele mangels planungspolitischer Konsequenz nicht zu erfüllen: Die Donau City war als zweite Innenstadt geplant, als multifunktionaler Mittelpunkt der Stadterweiterungsbezirke 21 und 22. Doch zeigt sich heute, dass das seit 1995 realisierte Hochhausviertel auf der „Platte“ mit seinem beziehungslosen Nebeneinander von Wohn- und Bürotürmen aber ohne die einst versprochenen hochrangigen Bildungs- und Kultureinrichtung nicht einmal für die Donaustadt Zentrumsfunktion übernehmen kann.

Im Unterschied zu den meisten cisdanubischen Bezirken, deren Bebauungsstruktur im Großen und Ganzen seit der Gründerzeit festgelegt ist, führt das Fehlen eines gesamtstädtischen Konzepts für die langfristige dreidimensionale Entwicklung in Transdanubien zu einem übergangslosen Nebeneinander von aufgelockertem und verdichtetem Städtebau. So drängen sich linkerhand der sechsspurigen Wagramer Straße die bis zu 140 Meter hohen Büro- und Hoteltürme des IZD, des Internationalen Zentrums Donaustadt, sowie die etwas niedrigeren Hochhäuser des Wohnparks Alte Donau aneinander – auf dass als Freiraum dazwischen nicht mehr als kümmerliche Restflächen zur Erschließung der Bauten übrig blieben. Die städtebauliche Dichte dieses im Bauboom der 1990er-Jahre von Immobilienspekulanten initiierten Quartiers übersteigt mit einer Geschoßflächenzahl von 5,5 selbst Werte im mittelalterlich geprägten 1. Bezirk.

Rechterhand der stark befahrenen Ausfallstraße dagegen liegen einige Dutzend jener gut 2500 Kleingärten, die in der Donaustadt etwa zur selben Zeit, als besagte Hochhäuser entstanden, in Einfamilienhaussiedlungen umgewandelt wurden. Die ehemaligen Schrebergärten hatte die Stadt Wien ursprünglich verpachtet, ab Mitte der 1990er-Jahre aber an ihre Nutzer quasi verschenkt – mit der Bewilligung, die bisherigen Gartenhütten zu zweigeschoßigen Dauerwohnsitzen auszubauen. So wurden wertvolle Grünräume oder aber auch gut erschlossene Entwicklungsflächen für eine angemessenere Verbauung für immer aus der Hand gegeben.

Das direkte Aufeinanderprallen solcher städtebaulichen Extreme bleibt in der Bevölkerung nicht mehr unwidersprochen. Die punktuellen Umwidmungen überall dort, wo gerade Grünland zum Verkauf und somit zur Bebauung anstand, ließen in den vergangenen Jahren immer mehr Anrainer, die ihre Häuser plötzlich im Schatten großvolumiger Bauprojekte sahen, auf die Barrikaden steigen – und mangelnde Rechtssicherheit ebenso beklagen wie planungspolitische Willkür. So finden sich auf der Plattform der Wiener Bürgerinitiativen, der Aktion 21, aus keinem Bezirk so viele Protestgruppen wie aus der Donaustadt.

Der Widerstand gilt freilich nicht der hochbaulichen Entwicklung allein. Auch die Verkehrspolitik der vergangenen zwei Jahrzehnte gibt Anlass zu Kritik. So wird derzeit zwar – prestigeträchtig – die U-Bahn-Linie 2 bis tief in den 22. Bezirk verlängert, der Rest des öffentlichen Verkehrsnetzes blieb bis dato aber sprichwörtlich auf der Strecke: Die 2010 erfolgte Inbetriebnahme des ersten Teilabschnitts der U2 ging einher mit der Einstellung direkter Busverbindungen – sie wurden zu Zubringern zur U-Bahn degradiert, was zusätzliches Umsteigen erfordert und somit eine Verschlechterung der Servicequalität bedeutet. Forderungen nach einer überfälligen Taktverdichtung auf allmorgendlich überlasteten Busstrecken wiederum weisen die Wiener Linien mit der Begründung zurück, dass zusätzliche Busse den täglichen Stau auf den Donaustädter Straßen nur noch verschlimmern würden.

Das Straßenbahn-„Netz“ des 22. Bezirks, dessen Ausbau vom Rathaus schon vor Jahren versprochen wurde, beschränkt sich bis heute auf die Line 26, die – 14 Kilometer quer durch ganz Transdanubien geführt – nicht nur als längste, sondern, was Wunder, auch als unzuverlässigste Tramwayverbindung Wiens gilt. Das größte Stiefkind im öffentlichen Verkehr der Donaustadt ist aber die Schnellbahn, obwohl gerade sie für den weitläufigen Stadtteil mit seiner hohen Abhängigkeit von Arbeits- und Ausbildungsplätzen in anderen Teilen Wiens das ideale Verkehrsmittel wäre. Als die Planungspolitik Anfang der 1990er-Jahre den 22. Bezirk zum Schwerpunkt der Stadterweiterung erklärte, tat sie das mit Verweis auf das große Potenzial der Marchegger Ostbahn, auf der die S80 verkehrt. 20 Jahre später ist dieses Rückgrat des Donaustädter S-Bahn-Verkehrs ab der Erzherzog-Karl-Straße nach wie vor eingleisig und ab der Hausfeldstraße nicht einmal elektrifiziert – und das Zugintervall wurde von 20 Minuten auf teils über eine halbe Stunde ausgedehnt.

Die S7 wiederum, die den 22. Bezirk direkt mit dem 11. und dem 21. Bezirk verbunden hatte, wurde auf diesem Abschnitt im Vorjahr gleich komplett eingestellt – woran zuvorderst aber nicht die Stadt Wien, sondern die Österreichischen Bundesbahnen schuld sind. Es wäre jedoch vermessen, von einem Unternehmen, das zuletzt die Direktverbindungen zwischen Graz und Linz sowie zwischen Graz und Salzburg aufgelassen hat, zu erwarten, dass es sich ausgerechnet um die Verbindungen von Stadlau nach Simmering oder Floridsdorf kümmert. Als Folge der jahrzehntelangen planungs- und verkehrspolitischen Versäumnisse ist die Donaustadt durch einer stetig wachsende Motorisierung gekennzeichnet, während in den inneren Bezirken Wiens der Autoverkehrsanteil zuletzt stagnierte. Es gibt im 22. Bezirk kaum eine Familie, in der nicht zumindest eine Person regelmäßig über die Donau pendeln muss – und dies mehr oder weniger erzwungen auf den eigenen vier Rädern tut.

So verwundert es nicht, dass es sich auf der Stadtautobahn A23, der Hauptverbindung von der Donaustadt in die inneren Bezirke sowie in die großen Gewerbegebiete im Süden Wiens, fast jeden Tag staut. Als Lösung sieht das Rathaus den Bau einer weiteren Tangente, der Wiener Außenringschnellstraße, quer durch das Nationalparkgebiet der Lobau – obwohl dies nicht nur allen umwelt- und klimapolitischen Zielsetzungen zuwiderläuft, sondern auch die stadt- und verkehrsplanerische Misere Transdanubiens verfestigen wird. Denn je attraktiver es für die Donaustädter ist, ihren Bezirk tagtäglich zu verlassen, desto unwahrscheinlicher werden sich dort die bis dato fehlenden Funktionen entwickeln.

Daran wird auch Wiens jüngstes Großprojekt für den 22. Bezirk nichts ändern: Auf dem ehemaligen Flugfeld in Aspern soll auf einer Fläche von 240 Hektar ein quasi autarker Stadtteil mit 8500 Wohnungen und 25.000 Arbeitsplätzen entstehen. Wie schon in der Donau City erwies es sich aber auch in der geplanten „Seestadt Aspern“ bald als schwierig, hochrangige Bildungs- und Kultureinrichtungen hierher zu bekommen. Und zu allem Überfluss hält sich bisher auch das Interesse von Wohnbauträgern und anspruchsvollen Unternehmen, an diesem – selbst für transdanubische Verhältnisse – abgelegenen Standort zu investieren, in überschaubaren Grenzen. Nicht zuletzt erscheint es fraglich, ob der Einzelhandel die geplante Ringstraße in der Seestadt wie erhofft beleben wird, zumal so gut wie jede Handelskette bereits in einem der Donaustädter Fachmarkt- und Einkaufszentren vertreten ist.

Es heißt unter Urbanisten, keine Aufgabe sei schwieriger, als auf der grünen Wiese eine funktionierende Stadt zu schaffen. Mit Blick auf den 22. Bezirk lässt sich aber sagen: Noch komplizierter scheint es, einen Stadtteil zu urbanisieren, in dem die Prinzipien von Stadtplanung und Städtebau über Jahrzehnte so konsequent missachtet wurden wie hier. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2011)

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