"Die dürfen nicht gewinnen"

In London schien die Unterstützung für Chelsea spärlich. Zumindest in der Bar Kick im Stadtteil Shoreditch unterstützte eine Mehrheit der Engländer Bayern München.

London. Als Didier Drogba in der 88.Minute den überraschenden 1:1-Ausgleich köpfelt, bleibt es erstaunlich ruhig. Ein paar Leute auf der rechten Seite des Raums strecken ihre Fäuste und Bierflaschen in die Luft, springen wild herum und umarmen sich: „Chelsea, Chelsea!“ Sie sind wieder im Spiel. Der Rest in der Bar Kick in Shoreditch kann es nicht fassen. „Scheiße! Wie können die Drogba so frei stehen lassen?“, brüllt Mark, ein Fan von Arsenal London, mit weiter Hose, offenem Hemd und einem Pint Bier in der Hand. „Die dürfen nicht gewinnen. Wir waren die erste Londoner Mannschaft im Champions-League-Finale. Wir müssen auch als Erste gewinnen!“

Auf der oberen Ebene der Bar steht ein schlanker, etwa 20-jähriger West-Ham-Fan, Keiran. Am Nachmittag hat seine Mannschaft das Entscheidungsspiel im Wembleystadion um den Aufstieg in die Premier League gewonnen. Jetzt hält er zu Bayern. „Die Deutschen sind mir eigentlich egal. Aber Chelsea ist der Abschaum Englands“, murmelt er, als das Spiel in die Verlängerung geht. „Alle sind mir recht, nur nicht die Neureichen.“ Der Londoner Szenestadtteil Shoreditch, leicht nordöstlich vom Stadtzentrum, ist eigentlich neutrales Terrain. Viele Zugezogene wohnen hier, keiner der großen Londoner Klubs ist in direkter Nähe beheimatet. Aber am Samstagabend hielt die klare Mehrheit nicht zu Chelsea, sondern zu Bayern München aus dem fußballerisch verhassten Deutschland.

Klinsmann-Trikots wieder in

„Eins, zwei, drei, Bayern till I die!“, riefen auch Fans von Tottenham Hotspur. Für sie war die Sache klar: Gewinnt Chelsea, dürfte Tottenham als Vierter der Premier League in der kommenden Saison nur in der Europa League spielen. So brachten einige Tottenham-Anhänger Bayernschals oder alte Trikots von Jürgen Klinsmann mit, der in den Neunzigerjahren für Tottenham gespielt hatte und später zu den Bayern gewechselt war. Am Sonntag beobachtete die Wochenzeitung „The Observer“, dass auf Twitter von wenig Unterstützung für Chelsea zu lesen war. Zwar hielten sich die meisten Fans der „Blues“ am Samstag im Londoner Westen auf, wo der Klub beheimatet ist, jenseits dieser Gegend schienen die Sympathien für Chelsea aber kaum mehrheitlich.

Als Didier Drogba schließlich im Elfmeterschießen den entscheidenden Schuss verwandelt und daraufhin quer jubelnd über das Feld der Münchner Arena läuft, fragt Arsenal-Fan Mark in die Luft: „Schießt Geld jetzt also doch Tore?“ Ein anderer nickt in Zustimmung, kippt den Inhalt seiner Bierflasche enttäuscht auf den Boden und wägt ab: „Immerhin gewinnt England jetzt gegen Deutschland im Elfmeterschießen.“ Mark entgegnet: „Aber Drogba spielt nicht für England.“ Und nächstes Jahr, fügt er hinzu, gewinne wohl auch noch Manchester City die Champions League. „Noch so ein Neureichenklub.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2012)

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