Portugal: Künstler im taktischen Korsett

Mittendrin, ganz unten – Superstar Cristiano Ronaldo: Portugals Spieler feierten mit ihm Finaleinzug bei der Fußball-EM.
Mittendrin, ganz unten – Superstar Cristiano Ronaldo: Portugals Spieler feierten mit ihm Finaleinzug bei der Fußball-EM.(c) REUTERS (Carl Recine)
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Teamchef Fernando Santos hat sein Handwerk in Griechenland geschult, für ihn stehen Resultate über möglichem Zauber. Auch Cristiano Ronaldo muss mitarbeiten, er träumt weiterhin vom ersten Titel. „Er ist nur einen Schritt entfernt.“

Lyon/Wien. Freude, Erleichterung, Stolz, all das sprudelte aus Cristiano Ronaldo in den Stadionkatakomben in Lyon heraus. „Ich habe immer davon geträumt, mit Portugal etwas zu gewinnen, und jetzt ist es nur einen Schritt entfernt“, sagte der 31-Jährige nach dem 2:0-Halbfinalsieg gegen Wales. Nach einer schwachen ersten Halbzeit von beiden Teams war der Weltfußballer nach der Pause zur Stelle, entschied mit Tor und Assist für Nani die Partie sowie den direkten Vergleich der Superstars mit Real-Kollegen Gareth Bale für sich.

Es war Ronaldos neunter Treffer bei einer EM-Endrunde, damit zog er mit Michel Platini gleich und ist nun Rekordtorschütze. Dass Portugals Kapitän dafür 20 EM-Spiele (ebenfalls Bestmarke) benötigte, während der Franzose das Kunststück in fünf Partien 1984 vollbrachte, fiel nicht ins Gewicht. „Es ist immer schön, Rekorde zu brechen, aber ich bin nicht besessen davon, sie passieren selbstverständlich“, sagte Ronaldo.

Tränen der Freude

Zum zweiten Mal in seiner Karriere steht Ronaldo mit Portugal in einem EM-Endspiel und darf erneut auf den ersten Titelgewinn mit der Nationalmannschaft hoffen. 2004, bei seiner ersten EM in der Heimat, avancierte Griechenland im Finale zum Spielverderber, die Bilder des weinenden 19-Jährigen gingen um die Welt. „Ich hoffe, dass ihr mich diesmal Tränen der Freude weinen sehen werdet.“

Zwölf Jahre später ist neben Ronaldo nur noch Ricardo Carvalho, 38, von damals dabei. Und Portugal, so wird geätzt, hat sich in Frankreich die Tugenden der Griechen angeeignet. Eusebio, Figo, Deco, Ronaldo – wurden die Portugiesen einst für ihren offensiven Fußball gelobt, als Brasilianer Europas bezeichnet, ist davon unter Fernando Santos nicht mehr viel zu sehen. Für den 61-Jährigen steht das Resultat über allem. Er selbst hat als Profi nie den Durchbruch geschafft, studierte Elektrotechnik und heuerte schließlich als Trainer bei Zweitligist Estoril an. Über den FC Porto ging es für Jahre nach Griechenland, wo er von 2010 bis 2014 das Nationalteam betreute, ehe er in die Heimat zurückkehrte.

Es ist nicht der zerstörerische Defensivfußball der Griechen von 2004, den Portugal praktiziert, doch tritt die Mannschaft auf dem Platz ebenso humorlos auf wie sich der Trainer in der Öffentlichkeit gibt. „Manchmal war es schöner, uns zuzusehen, manchmal nicht“, konstatierte er. Unter Santos blieb Portugal in allen 13 Pflichtspielen ungeschlagen, das 2:0 gegen Wales war der erste Sieg mit mehr als einem Tor Unterschied und der erste in der regulären Spielzeit bei dieser EM.

Immer den passenden Plan

Santos' Erfolg liegt in der mannschaftlichen Geschlossenheit, routinierte Spieler wie Ronaldo und Pepe führen junge wie Renato Sanches, 18, oder Raphael Guerreiro, 22. Sie alle müssen sich dem Team unterordnen und Defensivarbeit verrichten. „Große Turniere werden von großen Mannschaften gewonnen, nicht von großen Spielern“, lautet sein Credo. Die Umstellung auf ein 4-4-2-System mit Ronaldo in der Spitze hat dieser zwar anfangs nicht goutiert, doch es lässt den Superstar seine Stärken ausspielen und eröffnet der Seleção mehr taktische Möglichkeiten im Mittelfeld. „Portugal hat immer einen Plan, einen offensiven und einen defensiven“, erklärte Santos.

Wurde Ronaldo nach dem verschossenen Elfmeter gegen Österreich noch als „Chancen-Tod“ verspottet, hat er rechtzeitig vor dem Finale zur Form gefunden. „Die EM ist ein Marathon, kein Sprint“, ließ er seinen Kritikern ausrichten. Auch im Spiel um den Titel soll der Torjäger wieder zur Waffe werden, Santos tüftelt bereits am passenden Konzept. „Wir wissen, dass wir nicht das beste Team der Welt sind, aber wir wissen auch, dass es schwer ist, uns zu schlagen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2016)

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