Mit der Gier endet die Europameisterschaft

Die Euro geht künftig an den Bestbieter. Die einfache Rechnung der Europäischen Fußballunion: mehr Teilnehmer, mehr Einnahmen. Die Qualität aber wird leiden.

Der Präsident der Europäischen Fußballunion war mit seinem Werk wieder einmal zufrieden. Die Europameisterschaft in Polen und in der Ukraine bezeichnete Michel Platini als „fantastische EM“, er lobte die Veranstalterländer in höchsten Tönen. Der Franzose sprach vor dem Finale sogar davon, dass eine Euro noch nie so ein wichtiges Erbe hinterlassen habe. Was er genau damit meint, hat der ehemalige Weltklassespieler und jetzige Uefa-Boss nicht weiter ausgeführt. Er war so in die üblichen Lobhudeleien vertieft, dass er völlig vergaß, auf EM-Schattenseiten einzugehen. Denn der Enthusiasmus, der sei wahnsinnig groß gewesen, die Atmosphäre so einzigartig, die Spiele äußerst hochklassig und spannend, „voller Klasse und Respekt“. Dass es in den vergangenen Wochen immer wieder zu rassistischen Verfehlungen gekommen ist und Spieler wie Italiens Mario Balotelli mit Bananen beworfen worden sind, hätte die Uefa am liebsten verschwiegen. Aber alle TV-Bilder haben sich eben nicht manipulieren lassen.

Michel Platini, Europameister 1984, ist ein Mann mit Visionen. An der Euro 2016 in seiner Heimat sollen erstmals 24 statt der bisher 16 Teams teilnehmen, die Aufstockung klingt vielleicht verlockend, birgt aber viele Gefahren in sich. Der Uefa-Präsident wird nicht müde, die Neuerungen als dringend notwendig zu bezeichnen, künftige EM-Turniere wird das sportlich aber nicht weiterbringen. Auch Österreich darf sich auf einmal Hoffnungen machen, erstmals in einer Qualifikation zu bestehen. Aber ein Turnier wird mit der Teilnahme von Sparringpartnern nicht besser. Das Niveau wird freiwillig verwässert, das Gefälle noch größer.

Kaum ein Vertreter der Fußballgroßmächte findet Gefallen an der EM-Reform, nur die Uefa und kleinere Verbände profitieren davon. Mehr Teilnehmer erfordern mehr Gruppenspiele, dazu ein Achtelfinale und mehr Stadien, mehr Stadien bedeuten mehr Zuschauer, mehr Zuschauer mehr Einnahmen, mehr Spiele natürlich mehr Fernsehgeld. Michel Platini redet aber nicht gern über Geld, das hat die Uefa in Hülle und Fülle. Er sieht seine Aufgabe darin, „den Sport weiterzuentwickeln“. Und diese Außenseiter könnten bei einem Turnier doch wachsen, womöglich überraschen. Dass Veranstalterländer künftig die Mehrkosten, die mit dem Bau zusätzlicher Fußballhochburgen entstehen, eventuell nicht mehr tragen könnten, ist dem Uefa-Präsidenten längere Zeit nicht in den Sinn gekommen.

Der selbst ernannte Tausendsassa Platini aber hat auch für solche Probleme eine durchaus revolutionäre Lösung parat. Der Uefa-Boss kann sich ernsthaft vorstellen, dass die Europameisterschaft 2020 in ganz Europa ausgetragen wird, „man könnte in zwölf oder 13 Städten spielen“. Michael Platini will über diese Idee eine offene Diskussion führen, bis spätestens Jänner 2013 soll das Uefa-Exekutivkomitee eine Entscheidung fällen. „Mir gefällt dieser Gedanke“, betont der 57-Jährige. „Ich habe viele Sympathien für diese Idee.“ Was wenig verwundert, sie stammt schließlich von ihm.

Die Fußballöffentlichkeit ist verwundert. Platini verkauft seine Reform als große europäische Idee, aber gleichzeitig trägt die Uefa ihre Europameisterschaften zu Grabe. Die Euro der Zukunft droht somit zu einer zweiten Champions League zu verkommen. Auch die Königsklasse des Klubfußballs wurde so lange aufgestockt, sodass ein Verein nicht einmal mehr Landesmeister sein muss, um sich mit den Besten der Besten messen zu dürfen. Am Ende aber gewinnen bekanntlich immer nur die üblichen Verdächtigen. Der Rest ist Füllmaterial oder billiges Kanonenfutter für die Millionenklubs.

Eine Euro zwischen Tiflis, Lissabon, Moskau und Helsinki wird zu einer EM ohne Herz. Dass auf Fans schon lange keine Rücksicht mehr genommen wird, spiegelt sich in nahezu allen Uefa-Plänen wider. Platini schmettert diese Kritik als kleinlich ab, er verweist auf Billigairlines. Der Uefa geht es nur darum, Geldquellen weiter sprudeln zu lassen. Ein heftiger Wettstreit der Austragungsstädte wird entflammen, eine Unzahl an Bewerbern in Konkurrenz treten. Den Zuschlag erhalten die Bestbieter – wie immer. Wie Katar für die Wüstenweltmeisterschaft 2022. Euro 2012, S. 17, 18

E-Mail: wolfgang.wiederstein@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2012)

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