Schewtschenko: Viel mehr als nur ein Maskottchen

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Der alternde ukrainische Nationalteamspieler Andrej Schewtschenko versetzte als Matchwinner beim 2:1-Auftakterfolg gegen Schweden eine ganze Nation in Ekstase. „Ich fühle mich wie ein Zwanzigjähriger.“

Kiew/Warschau. Es gibt Momente im Leben eines Spitzensportlers, von denen wagt man nicht einmal zu träumen – weil sie gleichzeitig die Endstation Sehnsucht bedeuten würden. Nach dem Schlusspfiff im Stadion Olympijskyi in Kiew aber war auf einmal alles wunderbare Realität. Andrej Schewtschenko fiel seinem Trainer Oleg Blochin nicht nur um den Hals, er sprang ihm regelrecht in die Arme.

Wenn der Blick nicht getrügt hat, dann hatte der sonst so unnahbar wirkende ukrainische Teamchef dabei sogar feuchte Augen. Dann löste sich der zweifache Torschütze, der dem Euro-Co-Gastgeber zu einem Traumstart verholfen hat, bäumte sich in seiner ganzen Größe vor der bestens gefüllten Fantribüne auf. Ganz so, als wollte er sagen: „Seht her, ich war's, euer Schewa.“

Kapitän, Liebling, Vorbild

Viele hatten den 35-jährigen ehemaligen Superstar bereits abgeschrieben, nicht aber Oleg Blochin. Schewtschenko hatte in den vergangenen zwei Jahren eher den Eindruck des Leidenden hinterlassen. Aber der Torjäger von einst hat dennoch alles getan, um sich den letzten Traum zu erfüllen. Im letzten Moment erst war es ihm gelungen, noch auf den EM-Zug aufzuspringen, sich einen Platz in Blochins Kader zu sichern. Knie- und Kreuzbeschwerden deuteten eher auf eine Frühpensionierung hin, nur Blochin hätte „Schewa“ nach eigenen Angaben ohnedies ins Team geholt. „Wäre es gar nicht gegangen, dann wäre er wenigstens unser Maskottchen gewesen. Als Idol für den gesamten ukrainischen Fußball musste er einfach dabei sein. Eine Euro ohne ihn wäre unvorstellbar gewesen.“

Blochin, der einst bei Vorwärts Steyr spielte, zuvor als Kiew-Torjäger im Europacup Angst und Schrecken verbreitete, setzte gegen Schweden alles auf eine Karte – und ließ Schewtschenko von Beginn an auflaufen. Als Kapitän, Liebling und Vorbild. Als die Aufstellung verlesen wurde, brandete unglaublicher Jubel auf, später sollte er eine ganze Fußballnation in Ekstase versetzen.

Wer Europas Fußballer des Jahres war, dem muss man die Extraklasse nicht absprechen. In den letzten Testspielen, auch gegen Österreich, soll Schewtschenko nicht fit genug gewesen sein, gegen Schweden reichte es allemal. Vergessen war mit einem Schlag die politische Dimension dieses Turniers, die Kritik am eigenen Land interessierte an diesem Abend in der Ukraine keinen mehr. Auch das hat Andrej Schewtschenko mit seinen beiden Treffern geschafft.

Nur Janukowitsch war einsam

Schewtschenko, der ökonomisch spielte, aber Köpfchen bewies, sorgte dafür, dass die Ukrainer ihr Selbstwertgefühl wieder gefunden haben. Fast neidisch haben sie zuletzt auf Polen geblickt, weil alle Mannschaften dort ihre Quartiere bezogen haben und Politiker den Polen gegenüber keine Boykottdrohungen ausgesprochen haben. Im Stadion zu Kiew hingegen wirkte Staatschef Viktor Janukowitsch ein wenig einsam. Nur Uefa-Präsident Michel Platini hatte den Weg ins Olimijskyi-Stadion gefunden.

Der Held des Abends hatte nach seinen beiden Treffern seinen Teamchef, den man wegen seiner grimmigen Mimik und rauen Schale gern „General“ nennt, auffallend geherzt. Bruderkuss war keiner dabei, aber gegenseitige Dankbarkeit. Ein anderer Trainer hätte den betagten Stürmer fallen gelassen. Auch, weil er mitunter nicht mehr gut genug für Dynamo Kiew war. Einmal wurde Schewtschenko für ein Meisterschaftsspiel sogar freigestellt – der 35-Jährige nützte diese Gelegenheit, um an den ukrainischen Golfmeisterschaften teilzunehmen. Relativ erfolgreich übrigens, Rang zwei zeugt auch in diesem Sport von extrem gutem Ballgefühl.

Tore als beste Therapie

Jahrelang hat sich die Ukraine auf diesen Tag gefreut, geendet hat er mit einem Fußballmärchen. Dieses Spiel wurde herbeigesehnt, der Funke sprang über und am Ende flippten die Fans so richtig aus. Nur Schewtschenko blieb angesichts des Trubels gefasst. „Ich danke allen, die an mich geglaubt haben“, sagte er bei der Pressekonferenz.
Nicht nur ukrainische Reporter begannen danach zu klatschen. Fußballeuropa zog noch einmal den Hut vor dem Altmeister. „Heute“, erklärte er in seiner Glückseligkeit, „fühle ich mich wie 20!“ Tore waren immer schon die beste Therapie. Nicht nur für die ausgemergelte Nummer 7, sondern für eine ganze Nation.

„Andrej“, wusste später Teamchef Oleg Blochin zu berichten, „hat es nicht geglaubt. Aber ich hatte einen Traum, dass er zweimal trifft.“ Darum hat er seinen Liebling auch erst ausgewechselt, als es auf diese wundersame Art und Weise 2:1 gestanden ist. „Aber wir dürfen uns nicht den Kopf verdrehen lassen“, warnt der weise Schewtschenko. Am Freitag geht die EM gegen Frankreich weiter.

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