Polen: Der Versuch, Gewalttaten auszublenden

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Nach den Straßenschlachten von Warschau warten auf die insgesamt 184 inhaftierten Hooligans „schwere Strafen“. Bei den Ausschreitungen wurden 20 Personen verletzt. Die Uefa schweigt.

Warschau. Anderntags erinnerte nichts mehr an die schrecklichen Szenen des Vorabends. Die Hundertschaften an Exekutivbeamten waren verschwunden, die Hundestaffeln versorgt, die schwer ausgerüsteten Spezialeinheiten der polnischen Polizei leckten ihre Wunden. Zumindest eine der zerborstenen Scheiben bei der nahe gelegenen Busstation war am Vormittag wieder eingesetzt worden, die Spuren der Verwüstungen hat zum Teil auch der heftige Regen weggespült. In den polnischen Zeitungen gab es kaum Berichte über die schweren Ausschreitungen in Warschau vor dem Gruppenspiel zwischen dem Gastgeber und Russland, nur vereinzelt fanden sich Bildergalerien. Nur das Boulevardblatt „Fakt“ titelte: „So wurde in der Hauptstadt das Sportfest zusammengeschlagen.“ Über unangenehme Vorfälle schwieg man sich aber lieber aus.

Auch der Europäische Fußballbund (Uefa), der die Medien täglich mit Aussendungen und Teaminformationen füttert, verschickte nur eine lapidare Stellungnahme. Weil bei einer Euro nicht sein kann, was nicht sein darf. Mit Bildern von schweren Krawallen können die Hüter des Fußballs nichts anfangen, Negativwerbung ist Gift und schlecht für das Geschäft. Wer Fair Play propagiert, eigene Werbeslogans (Respect) produziert und Initiativen gegen Rassismus startet, braucht keine Störenfriede, wenn man so wie jetzt dermaßen intensiv in der Auslage steht.

Das genaue Ausmaß der Krawalle in Warschau wurde am Mittwoch bei einer Pressekonferenz veröffentlicht. Man zählte 184 Festnahmen, darunter waren 156 Polen und nur 24 Russen. Bei den Ausschreitungen wurden 20 Personen verletzt und in nahe liegende Krankenhäuser gebracht. Darunter waren auch zehn Polizisten.

6600 Beamte waren im Einsatz, mit schwerem Gerät, Dutzende Hubschrauber kreisten über dem Stadion-Areal. Verhindern konnte die polnische Exekutive die Übergriffe der Hooligans nicht. Regierungssprecher Pawel Gras kündigte jedoch genauere Untersuchungen an und will die Auswertungen des Videomaterials abwarten. „Die Gewalttäter sollen nicht glauben, dass sie ruhig schlafen können. Auf sie warten harte Strafen!“

Polizei mit Gummigeschossen

Der russische Fan-Marsch am Tag der Unabhängigkeit, von der Stadt Warschau genehmigt, musste letztlich gestoppt und aufgelöst werden. Immer wieder flogen Steine, Flaschen, später auch zahlreiche Feuerwerkskörper. Die Polizei feuerte mit Gummigeschossen zurück. Die Stadtregierung wollte die „Demonstration“ nicht verbieten, Demokratie und Freiheit geht hier über alles.

Auch in und rund um die Fan-Zone, die ein Fassungsvermögen von 100.000 Menschen hat, ist es zu Ausschreitungen gekommen. Hier kamen Wasserwerfer zum Einsatz. Im Warschauer Stadion hingegen blieb es weitgehend ruhig. Das Transparent „Stoppt Putin und den KGB“ verschwand rasch.

Andrzej Rychard, Soziologe an der polnischen Akademie der Wissenschaften, hatte bereits vor diesen Gewaltakten eine Erklärung für die extremen Spannungen. „Jede Kleinigkeit bringt die historischen Missstände, die nie ganz aufgeklärt wurden, wieder ans Tageslicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2012)

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