Fußball: Die ewige Angst der Kellerkinder

Uwe Seeler.
Uwe Seeler.(c) EPA (Kay Nietfeld)
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Für Deutschlands Bundesliga-Dinosaurier HSV läuft heute die Uhr ab, der erste Abstieg der Klubgeschichte ist „nur noch durch ein Wunder abzuwenden“, fürchtet Klubikone Uwe Seeler.

Hamburg/Wien. Es hat mittlerweile Tradition in der deutschen Bundesliga: Uwe Seeler bangt um den Klassenerhalt des HSV. Der einst beste Mittelstürmer der Welt gilt in der Gegenwart als das allwissende Klubidol. Wann immer es Krisen um den Hamburger Sportverein gibt – und von diesen gibt es sehr viele –, wird der 81-Jährige gefragt.

Er habe immer an den Klub geglaubt, das Überleben des Bundesliga-Dinosauriers. 55 Jahre Bundesliga, sie neigen sich heute tatsächlich dem Ende zu, glaubt Seeler. „Ich habe nie gedacht, dass der HSV absteigt, solange ich noch lebe. Das ist sehr betrüblich.“

Die Ausgangslage ist prekär. Der Tabellenvorletzte kann heute (ab 15.30 Uhr, live, Sky) den Sprung auf den Relegationsrang nur noch dann schaffen, wenn er gegen Gladbach gewinnt – und gleichzeitig VfL Wolfsburg gegen Fixabsteiger Köln verliert. Einzig der SC Freiburg hat es in eigener Hand, ein Punkt gegen Augsburg genügt.

Tausende HSV-Fans hoffen auf das nächste Wunder. Jahrelang gelang die Rettung in letzter Minute. 1998 schoss Anthony Yeboah in der 90. Minute erst das erlösende 2:1 gegen Werder Bremen. 2007 gelang der erste Sieg unter Huub Stevens erst in der 21. Runde, 2014 half die Relegation. 2015 ebenso, dank eines heute noch in allen KSC-Ohren dröhnenden Freistoßkrachers durch Diaz.

Wer ist noch nie abgestiegen?

Relegation um jeden Preis. Auf diese Karte setzt man beim HSV, hofft auf diesen Umweg zurück in die Bundesliga. Gegner wäre Kiel. Doch dieses Spiel ist noch so weit weg, zuvor wartet das Unmögliche gegen Gladbach. Und ohne Kölner Schützenhilfe ist alles ohnehin vollkommen umsonst. Dass just Bruno Labbadia, der 2015 den HSV gerettet hat, jetzt Wolfsburgs Trainer ist, verleiht allem zusätzliche Brisanz.

HSV ist Gründungsmitglied (1963) der deutschen Bundesliga. Österreicher sympathisieren mit ihm, weil einst Ernst Happel Titel (1982, 1983) und Europacup (1983) gewonnen hat. Der Abstieg des achtgrößten Fußballklubs im Land des Weltmeisters wäre das Ende einer Ära. Dann stünde man auf einer Stufe mit Ligen in England, Frankreich, Belgien, der Schweiz: Auch dort gibt es keine Klubs mehr, die noch nie abgestiegen sind.

In Italien hält Inter Mailand die Fahnen hoch, in Spanien sind es Real Madrid, FC Barcelona und Athletic Bilbao. In Russland ist es Dynamo Moskau, Portugal feiert Benfica Lissabon, Sporting Lissabon und FC Porto. In der Türkei bleiben Fenerbahçe, Beşiktaş und Galatasaray die Fixgrößen, Gleiches gilt für die Niederlande mit Ajax, PSV und Feyenoord. In Schottland ist Celtic Glasgow Stammgast im Oberhaus. In Griechenland überleben Olympiakos, Panathinaikos und Paok Saloniki selbst die größten Finanzskandale und bleiben erstklassig.

Und in Österreich? In dieser Wertung gibt es nur Rapid und Austria. Alle anderen sind irgendwann einmal abgestiegen.

Für die einen wäre der Abstieg die größte Chance für einen Neubeginn in Hamburg. Eine neue Zeitrechnung, ohne die lästige Uhr, die wie ein Mahnmal im Volkspark thront und die Dauer der Erstligazugehörigkeit zeigt. Luft holen im Keller, mit vernünftigen Spielern, funktionierenden Funktionären. Es ist eine Mär. In der zweiten Liga gibt es keine freiwillige Gesundung, im Gegenteil. Es gibt weniger Geld. Es wäre ein sehr schmerzhafter Schlussstrich.

Seeler auch in Liga 2 dabei

Aber, was macht „Uns Uwe“? Der finale Niedergang des sechsmaligen Meisters trübt Seelers Gemüt ungemein. Wie immer. „Der HSV“, sagt er der „Bild“-Zeitung, „war einmal eine Stärke. Was daraus gemacht worden ist, ist nicht das Allerbeste.“ Aber, natürlich würde er dem Klub auch im Abstiegsfall die Treue halten und Spiele im Stadion besuchen. So richtig wahrhaben will er das aber noch nicht.

Heute, um 17.20 Uhr, wird er es jedoch wohl müssen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2018)

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