Mesut Özil brach sein Schweigen zur Causa mit dem türkischen Präsidenten, berief sich wie Ilkay Gündoğan auf seine Wurzeln. Er rechnete auch mit DFB, Sponsoren und Medien ab.
London/Berlin. Er hat monatelang geschwiegen, ist dafür angefeindet und sogar beschuldigt worden, bei der Fußball-WM in Russland bloß „mit angezogener Handbremse“ gespielt zu haben: Jetzt hat der deutsche Fußballer Mesut Özil sein Schweigen zu den umstrittenen Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gebrochen. Seine Aussagen brachten eine Erklärung, die dürfte allerdings in Deutschland prompt für weitere Unruhe sorgen.
In seiner Erklärung auf Englisch, die der Arsenal-Legionär via Twitter veröffentlichte, verteidigte der Weltmeister von 2014 die Aufnahmen bei einem Treffen in einem Fünf-Sterne-Hotel Mitte Mai in London: „Ich würde es sogar wieder machen.“ Özil erklärte, es sei nicht um Politik oder Wahlen gegangen, sondern um Fußball und nur darum, das höchste Amt des Landes seiner Familie zu respektieren. Er verwies dabei mehrmals auf seine türkischen Wurzeln. Sich nicht mit ihm zu treffen, „hätte bedeutet, diese Wurzeln nicht zu respektieren“.
Die Fotos zeigen Özil und auch DFB-Teamkollege Ilkay Gündoğan mit Erdoğan. Jeweils standen die Fußballer neben ihm, hielten mit dem Politiker ihre (signierten) Klubtrikots in die Kamera. Die AKP-Partei verbreitete die Bilder über soziale Netzwerke.
Kapitale Fehler im „Erdo-Gate“
Kritiker werteten dies als Wahlhilfe für Erdoğan. Andere verlangten, dass sich deutsche Teamspieler – egal welcher Herkunft – weder mit ausländischen Politikern ablichten noch zu generellen Politzwecken instrumentalisieren lassen dürften. Die vom deutschen Boulevard zum „Erdo-Gate“ stilisierte Affäre führte sogar so weit, dass beide bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geladen waren.
Der Deutsche Fußballbund, ansonsten eher mitteilungsfreudig, schwieg. Es gebe keine Regeln, es gab daher keinen Kommentar. Erst nach dem blamablen WM-Aus fielen allerdings sukzessive Andeutungen, vor allem von Präsident Reinhard Grindel, man würde sich jetzt doch allmählich Aussagen der Spieler zu dieser Angelegenheit erwarten.
Team-Manager Oliver Bierhoff geriet im Fall von Özil sogar gehörig in Erklärungsnot. In einem „Welt“-Interview – das er und der DFB autorisiert hatten – fühlte er sich nach einem Sturm der Entrüstung dann doch falsch verstanden. „Wir haben Spieler bei der deutschen Nationalmannschaft bislang noch nie zu etwas gezwungen, sondern immer versucht, sie für eine Sache zu überzeugen. Das ist uns bei Mesut nicht gelungen. Daher hätten wir überlegen müssen, ob man auf ihn verzichtet.“ Er ruderte zurück, verteidigte seine Aussagen. Seitdem schweigt er.
Özil goss mit seiner Stellungnahme also neues Öl ins Feuer. Das Foto, beteuerte der 29-Jährige, habe „keine politische Botschaft. Ich habe zwei Herzen, das eine ist deutsch, das andere türkisch.“
„Gehandelt wie die Queen“
Und punkto „solcher Fotos“ legte er seine Sicht der Dinge ebenso offen: Ähnlich hätten die Queen oder Premierministerin Theresa May auch gehandelt, als sie sich mit Erdoğan trafen.
In einem zweiten Statement kritisierte er Medien für ihre „einseitige“ Berichterstattung. Man habe seine Herkunft benutzt und das Foto mit Erdoğan „als rechte Propaganda“ dargestellt, „um ihre politische Sache voranzubringen“. Man habe nicht seine (erschreckend oft lustlose bis inferiore) Leistung kritisiert, auch nicht die der Mannschaft – sondern nur seine Abstammung. Auch mit DFB-nahen Sponsoren (Mercedes?) ging er hart ins Gericht. „Nach meinem Foto mit Präsident Erdoğan haben sie mich aus den Kampagnen gestrichen und sagten alle geplanten Werbe-Aktivitäten ab. Sie fanden, es wäre nicht mehr gut, mit mir gesehen zu werden, und nannten die Situation Krisenmanagement.“
Über seine Zukunft oder den von seinem Vater bereits angekündigten Rücktritt aus dem DFB-Team verlor Özil in den ersten beiden von drei angegebenen Seiten seines Statements jedoch noch kein einziges Wort. Erst in seiner dritten Stellungnahme verkündete er den Rücktritt. Zuerst die Abrechnung, dann der Abschied...
Die nächsten Länderspiele Deutschlands stehen am 6. September gegen Weltmeister Frankreich und am 9. September gegen Peru auf dem Programm. Joachim Löw will am 24. August über die WM berichten und fünf Tage später sein Aufgebot nennen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2018)