Die Leiden des deutschen Fußballs

Die „Bild“-Zeitung wählte den Vorarlberger Adi Hütter als „besten Trainer der Hinrunde“.
Die „Bild“-Zeitung wählte den Vorarlberger Adi Hütter als „besten Trainer der Hinrunde“.APA/dpa/Uwe Anspach
  • Drucken

Mit Adi Hütter ist ein Österreicher bester Trainer der Bundesliga, nach der WM wankt das Nationalteam. Und die Königsklasse dürfte weder Bayern noch Dortmund gewinnen.

Frankfurt. Dieses Votum stellt Deutschlands Fußball doch auf den Kopf: die „Bild“-Zeitung wählte den Vorarlberger Adi Hütter als „besten Trainer der Hinrunde“. Ein Österreicher ist der beste Betreuer in einer Liga, die als eine der besten der Welt gilt, Stars und Kultklubs aufwartet. Der Coach von Eintracht Frankfurt, 48, erhielt einen Notendurchschnitt von 2,47 und war in der erstmals durchgeführten Wahl die Nummer eins vor Ralf Rangnick (2,52/Leipzig) und Lucien Favre (2,58/Dortmund).

Eine Wahl beruht nicht immer auf Erfolgen, sondern doch auch auf Sympathien. Dortmund ist Tabellenführer, Frankfurt nur Sechster, nur zur Relativierung. Niko Kovač (Bayern München) kam überhaupt nur auf 3,29 Zähler und Rang 13. Aber, Wahlen liefern Indizien wie Meinungsumfragen, die eine gewisse Unzufriedenheit offenlegen, Missstände aufzeigen.

Seit 2012 (Bayern) kein Champions-League-Titel mehr, seit 1997 (Schalke) kein Erfolg mehr im Uefa Cup/Europa League, 2014 gelang der vierte WM-Sieg – doch all die Erinnerungen daran wurden 2018 mit dem WM-Flop des Nationalteams (Aus in der Vorrunde) und dem Abstieg in der Nations League regelrecht ausgelöscht. Deutschlands Fußball lechzt nach Erfolg. 2019 steht also ein brisantes Umbruchjahr bevor.

Neue Spieler braucht das Land

Joachim Löw muss das Jahr nutzen, um die Mannschaft nach dem Absturz mit sechs Niederlagen in einem Kalenderjahr wieder in die Spur zu bringen. Der Badener, einst bei FC Tirol und Austria erfolgreich, hat zwei Themen „ganz oben auf der Agenda“: die Qualifikation für die EM 2020. Und: neues Personal.

Löw will jetzt doch jungen Spielern mehr Raum gebenund sie so entwickeln, um bei der pan-europäischen EM besser abzuschneiden als in Russland. Spieler wie Joshua Kimmich (Bayern, 23), Timo Werner (Leipzig, 22), Niklas Süle (Bayern, 23), Leon Goretzka (Bayern, 23) und Julian Brandt (Leverkusen, 22) waren beim WM-Debakel schon dabei. Jetzt rücken die zuvor von ihm ausgemusterten Leroy Sané (Manchester City, 22), Serge Gnabry (Bayern, 23), Thilo Kehrer (Paris SG, 22) oder Kai Havertz (Leverkusen, 19) nach.

Alte raus, junge Tempospieler rein, verkürzt ausgedrückt ist das der Weg, den Löw nach einem zögerlichen Neustart im Sommer erst unter dem Druck des 0:3 in den Niederlanden einzuschlagen bereit war. „Die Jungen brauchen Halt und Orientierung“, lautet seine Begründung.

Manuel Neuer (32) bleibt Kapitän. Auf den Münchner Torwart hat sich Löw bis zur EM 2020 als Nr. 1 festgelegt. Auch Toni Kroos (Real Madrid, 29) behält einen Sonderstatus, während andere 2014-Weltmeister wie das Münchner Trio Jérôme Boateng (30), Mats Hummels (30) und Thomas Müller (29) an Bedeutung und Spielanteil eingebüßt haben.

Das System wurde modifiziert. Das 3-4-3 mit Angreifern wie Sané, Gnabry und Werner hat den aus der Mode gelaufenen Ballbesitzfußball endgültig abgelöst. Unter den Top Ten der Feldspieler mit der meisten Einsatzzeit seit der WM befinden sich immerhin schon fünf aus den Hoffnungsjahrgängen 1995 und 1996 (Kimmich, Werner, Süle, Kehrer, Sané).

Das Jahr der Entscheidung

Löws Vertrag wurde, ohne Not, vor der WM in Russland bis Katar 2022 verlängert. So weit blickt aber in Deutschland niemand mehr voraus. Löw muss liefern, 2019 eine überzeugende EM-Qualifikation bestreiten. In der Gruppe mit den Niederlanden, Nordirland, Estland und Weißrussland ist Platz zwei das Minimum.

Viele Fans sehen den lang umjubelten „Jogi“ inzwischen sehr kritisch. 41 Prozent der Deutschen halten ihn nicht mehr für den richtigen Teamchef, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „YouGov“ im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur ergab. Dieses Votum stellt Deutschlands Fußball ebenso auf den Kopf wie die Aussicht darauf, dass weder Bayern noch Dortmund die Champions League gewinnen werden. Von der Europa League ganz zu schweigen. Moment. Frankfurt steht ja im Sechzehntelfinale. Mit Trainer Adi Hütter . . . (fin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.