Die Referees: Alle wissen, wo ihr Auto steht

Pascal Günsberg (l.) und Mile Lukic (r.) gehören dem Leistungskader der Wiener Schiedsrichter an.
Pascal Günsberg (l.) und Mile Lukic (r.) gehören dem Leistungskader der Wiener Schiedsrichter an. (c) Stanislav Jenis
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Hektik auf dem Platz, strittige Szenen, böse Worte von der Tribüne: Fußballschiedsrichter schlüpfen freiwillig in die Rolle des Buhmannes. Von Ausbildung, Premieren, schlaflosen Nächten – und seltenem Lob.

Schon mal eine Partie so richtig verpfiffen? „Ja, natürlich. Irgendwann im Spiel fällt dir das auf und du denkst: Was mache ich da?“ Mile Lukic ist 22 Jahre alt, Jusstudent und Fußballschiedsrichter in der Wiener Stadtliga, der vierten Spielklasse in Österreich. Er leitet Partien von Wiener Viktoria oder Simmering. Er sagt: „Zuschauer sind nur mit deiner Rolle als Schiedsrichter nicht zufrieden, das ist nicht persönlich.“

Ein anderer Satz fällt im Grundlehrgang des Wiener Fußballverbandes für Referees mehrmals: „Bitte nicht päpstlicher sein als der Papst“, sagt Ernst Weiss, wenn er vor den angehenden Spielleitern die Regelkunde erörtert. Regel zwölf besagt, dass der Torjubel nicht übertrieben werden darf. „Die Mama und die Oma schauen zu, darf sich der Bub da nicht freuen?“ Weiss ist Nachwuchsreferent und hat „außer Zeugwart im Fußball schon alles gemacht“. Seine Leidenschaft ist aber die Schiedsrichterei. Mit Begeisterung doziert er über die Abmessungen eines Fußballplatzes; auch ein Spielfeld mit 90 mal 89 Metern ist nämlich erlaubt. Er spricht über das Material, aus dem Eckfahnen zu bestehen haben und über die neuesten Ergänzungen zur Unterwäsche von Fußballern.

30 Schiedsrichterneulinge absolvieren im Schulungszentrum des Happel-Stadions diesen Lehrgang. Ihre Motive sind so unterschiedlich wie ihre Herkunft, ein gemeinsamer Nenner verbindet sie dennoch: Jeder mag Fußball und will Teil davon sein. Der Wiener Verband betont gern, welchen Beitrag man auch zur Integration leiste. Doch Lukic sagt: „Als Schiedsrichter ist deine Herkunft, dein Milieu, völlig wurscht.“


400 Spiele pro Woche. Der Grundkurs ist gratis, jeder ab 15 Jahren darf teilnehmen, Deutsch ist Voraussetzung. Der Lauftest – 1850 Meter sind in zwölf Minuten zu schaffen –, sollte keine allzu große Hürde sein, immerhin legen Profis in der Bundesliga bis zu zwölf Kilometer pro Spiel zurück. Ist die Ausdauerübung bestanden, warten Theoriemodule und Prüfungen. Testfrage zehn lautet: „Der Schiedsrichter beendet die erste Halbzeit um fünf Minuten zu früh. Er bemerkt dies auf dem Weg in die Kabine, was ist zu tun?“ Erfahrenere Schiedsrichter wie Lukic übernehmen die Prüfungsaufsicht, die Auflösung folgt später . . .

Nach acht positiv absolvierten Modulen wird der Jungschiedsrichter beim Nachwuchs eingesetzt, beginnend mit der U12. Erhält er positive Bewertungen bei den stichprobenartigen Beobachtungen, steigt er bis zu den Kampfmannschaften auf.

Der Grundlehrgang ist gut besucht, quasi ein Selbstläufer, Werbung ist keine notwendig. Obwohl aus den unterschiedlichsten persönlichen Gründen (Beruf, Studium) von den 30 Kursteilnehmern nach einem Jahr meist nur noch zehn übrig bleiben, ist genug Schiedsrichternachwuchs vorhanden, um die 400 Fußballspiele an einem Wochenende in Wien zu besetzen. Das wird auch entlohnt, Einstiegsgehalt sind 20 Euro pro Partie.

Johann Liebert ist Chef der Wiener Schiedsrichter. Etwa 100 sind es im Bereich der Kampfmannschaften, 160 beim Nachwuchs. Liebert war 28 Jahre lang aktiv, auch in der Bundesliga. Aber nur „eine Handvoll“ strebt diese Karriere an, erzählt er. Der Geschäftsführer eines Planungsbüros ist außerdem Schiedsrichterbeobachter in den höchsten heimischen Ligen. Nach Spielende geht er zum Referee in die Kabine. Dort gibt es eine Besprechung, strittige Szenen werden mit TV-Bildern analysiert. Oft geforderte technische Hilfsmittel wie den Videobeweis sieht er jedoch kritisch. Die Torlinientechnik, wie sie etwa in der deutschen Bundesliga angewandt wird, sei prinzipiell eine gute Sache, „aber es sollte nicht zu viel von außen eingegriffen werden. Da geht Emotion verloren.“ Die weckt jedoch die Gage: ab 40.000 Euro Grundgehalt, plus 3800 Euro pro Einsatz.


Die erste Partie. Ehe sich einem Referee diese Möglichkeiten überhaupt eröffnen, muss er sich erst im Jugend- und Amateurbereich verdient machen. Dort ist er auf sich allein gestellt, jede Entscheidung, egal, ob richtig oder falsch, ist endgültig. „Vor meinem ersten Spiel war ich irrsinnig nervös, habe die ganze Nacht nicht geschlafen“, erzählt Pascal Günsberg, 19 Jahre, Lehramtsstudent und derzeit in der Oberliga Wien, der sechsten Spielklasse, im Einsatz. Zwar begleitet ein Routinier die Neulinge bei ihrem ersten Mal, aber auch Lukic machte ähnliche Erfahrungen: „Du stehst da draußen mit deiner Pfeife und hast keine Ahnung, wann du sie benutzen sollst. An den Druck musst du dich erst gewöhnen. Diese Situation ist mit nichts im Alltag zu vergleichen.“

Bei etwa 100 Spielen im Jahr, so viel hat Lukic auf seinem bisherigen Weg in die Stadtliga pro Saison geleitet, sammelt man rasch Routine – und Persönlichkeit. Unparteiischer zu sein ist eine großartige Charakterschule, ist man beim Verband jedenfalls überzeugt. „Man braucht Gerechtigkeitssinn und muss mit der Hektik umgehen können“, sagt Liebert. Diese Fähigkeiten hätten sich bei ihm im Berufsleben bezahlt gemacht.

Als Spielleiter ist man ständig der Kritik ausgesetzt, wird mitunter von den Rängen auch verflucht. „Am Anfang merkst du das nicht, weil du voll gefordert bist. Im Lauf der Zeit baust du dir ein Schild auf“, erklärt Lukic. „Am Anfang habe ich mir dann am Abend zu Hause schon gedacht: Warum ich? Wieso habe ich das jetzt verdient?“, sagt Günsberg, „aber das ist nichts Persönliches, nächste Woche hat diese Rolle ein anderer.“

Christian Pfann, Ausbildner und als Beobachtungsreferent einer derjenigen, der über den Werdegang der „Männer in Schwarz“ entscheidet, bemüht den Vergleich mit Autofahrern: „Du musst zuerst das Auto im Griff haben, also die Regeln. Erst dann kannst du dich auf dich selbst konzentrieren.“ Er ist sogar der Meinung, dass es durchaus in Ordnung ist, wenn die Leute schimpfen, „wenn sie aber lachen, läuft etwas falsch“.


Per Du oder per Sie? Ein routinierter Offizieller legt sich vorab Strategien zurecht. „Der Idealfall ist, Verbündete unter den Spielern zu finden“, erklärt Pfann, „ein Schiedsrichter soll kommunizieren, aber nicht zu viel.“ Schlagfertigkeit sei ebenfalls hilfreich, „am besten dem Spieler fällt gar nichts mehr ein“. So entwickelt jeder seine eigene „Pfeifensprache“. Lukic beispielsweise siezt alle Spieler („So fällt ihnen das Schimpfen schwerer“), Günsberg hält es grundsätzlich beim du („Von Sportler zu Sportler“).

Absichtlich jemanden zu benachteiligen käme ohnehin nicht infrage, sagt Günsberg: „Ich zerstöre mir die Note vom Beobachter sicher nicht, nur weil ich jemanden nicht mag.“ Für einen Schiedsrichter sei es wohl das größte Lob, wenn sich beide Seiten, auch die Verlierer, nach einem Spiel für die Leistung bedanken, meint Günsberg. „Aber so etwas kommt selten vor“, ergänzt Lukic.

Für so eine Leistung gehöre natürlich auch Glück dazu, gibt Liebert zu. Aber wenn jeder sehen könne, dass sich der „Mann in Schwarz“ ehrlich bemüht, wird er gleich besser aufgenommen. „Im Beisl muss nach dem Spiel Ruhe sein“, sagt Liebert. „Wertschätzung erhält ein Schiedsrichter erst dann, wenn die Karriere vorbei ist und er auf dem Sportplatz begrüßt wird.“ Für Pfann ist die Wertschätzung dann erreicht, wenn man mit dem eigenen Namen angesprochen wird. „Das ändert alles, dann hat man sich Anerkennung erarbeitet.“

Der Grundlehrgang ist davon freilich noch weit entfernt. Dort wird noch über Frage zehn gegrübelt. Die Auflösung klingt jedoch einleuchtend und simpel: Nach der Halbzeitpause lässt der Schiedsrichter die vergessenen fünf Minuten nachspielen, danach die Seiten wechseln und beginnt mit der zweiten Halbzeit. Auch diese Neulinge werden wohl irgendwann eine Partie verpfeifen, dann hilft nur eines: „Du darfst dem Fehler nicht nachlaufen. Sonst versuchst du krampfhaft, es besser zu machen und es wird noch schlechter“, erklärt Lukic. „You are only as good as your next call“, ist auch so eine Schiedsrichterweisheit.

»ich pfeife!«

Christoph Schröder ist seit 27 Jahren Schiedsrichter im hessischen Amateurfußball. Der Literaturkritiker hat nun ein Buch über Bierbank und Bratwurst, Dellen in der Autotür und rührende Begegnungen geschrieben.
„Ich pfeife! – Aus dem Leben eines Amateurschiedsrichters“ von Christoph Schröder. Tropen-Verlag, 224 Seiten, 16,95 Euro.

referees

260Schiedsrichter
pfeifen für den Wiener Fußballverband.

100 davon im Bereich der Kampfmannschaften, der Rest im Nachwuchs.

400Amateur- und Nachwuchsspiele finden pro Wochenende in Wien statt.

20Euro Aufwandsentschädigung pro Spiel zahlt der Wiener Fußballverband seinen Schiedsrichterneulingen. Mit Spielklasse und Erfahrung steigt die Summe.

1000Euro
pro Partie erhält ein Spielleiter in der österreichischen Bundesliga. In der Erste Liga sind es
600 Euro.

3800Euro
verdienen die Unparteiischen in der deutschen Bundesliga pro Einsatz. Zusätzlich zum Grundgehalt von 40.000 Euro pro Jahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2015)

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