Deutschland: Auf Irrwegen im Niemandsland

Manuel Neuer allein auf weiter Rasenflur: Deutschland enttäuschte zum Auftakt dieser Fußball-WM.
Manuel Neuer allein auf weiter Rasenflur: Deutschland enttäuschte zum Auftakt dieser Fußball-WM.(c) REUTERS (KAI PFAFFENBACH)
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Die Auftaktniederlage des Titelverteidigers gegen Mexiko lässt die Alarmglocken läuten, Löw muss System und Spieler prüfen. Die Kritik wird lauter, das 0:1 habe sich angekündigt.

Moskau. Am Tag nach der 0:1-Niederlage gegen Mexiko blieben in Watutinki, dem WM-Quartier der Deutschen in Moskau, die Türen verschlossen. Joachim Löw verordnete dem kompletten Tross für die Aufarbeitung des Negativerlebnisses und die nun unvermeidbare Neuausrichtung einen Tag absoluter Ruhe. Keine Medien, keine Pressekonferenz, auch ein PR-Event für die EM-Bewerbung 2024 wurde ersatzlos gestrichen. Sogar das Training fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Es ist vorerst auch genug geredet. Das Spiel gegen Mexiko hat ohnehin das Gros aller Problemzonen offengelegt. Es fehlte der geschlossene Auftritt in der Abwehr, Mats Hummels kritisierte das sogar öffentlich. Nur Jérôme Boateng und er seien hinten zu finden gewesen, „zu oft allein“. Mit anderen Worten: Man habe sie im Stich gelassen. „Die Mexikaner sind sogar vier-, fünfmal allein auf uns zugelaufen“, ergänzte Boateng.

Dem Unvermögen von „El Tri“ im Abschluss und Manuel Neuer sei es zu verdanken, dass der WM-Auftakt nicht höher verloren wurde. In der Offensive fehlten Ideen, Özil war laut der „SZ“ sogar „verloren im Niemandsland“. Pässe, Durchschlagskraft, Körpereinsatz, alles war mangelhaft. Möglichkeiten gab es zwar zuhauf, nur verteidigten die Mexikaner mit allerletztem Einsatz ihre Führung. Für eine DFB-Mannschaft, seit 1990 in WM-Auftaktspielen immer siegreich, war dieses Spiel ernüchternd schwach.

Gravierende Mängel

Es mag zwar ein Novum sein, dass weder Brasilien, Argentinien noch Deutschland zum WM-Start gewinnen konnten. Nur, die Historie zeigt, dass Titelverteidiger durchaus straucheln können. Kapital sogar in der Gruppenphase: Frankreich gelang 2002 kein Tor, Italien wurde 2010 erstmals in seiner WM-Geschichte Gruppenletzter. Und Spaniens goldene Generation scheiterte 2014 in zwei Spielen.

Der Fehlstart in Gruppe F, in der noch Schweden und Südkorea warten, fordert nicht zuletzt den Trainer. Es ist eine kritische Situation für Löw, der warnte und zugleich auch beruhigen wollte. „Es gibt keinen Grund, jetzt völlig auseinanderzufallen.“

Die Mängelliste ist allerdings lang. Ballverluste, ein schleppendes Spiel, „fahrig“ nannte es Löw. Müller, Khedira oder Özil präsentierten sich bei der erst zweiten WM-Auftaktniederlage und ersten nach 1982 (1:2 gegen Algerien) weit entfernt von der Bestform. Was Kritiker vor dem nächsten Auftritt Angst macht, ist der Umstand, dass sich diese Niederlage in Tests, vor allem beim 1:2 in Klagenfurt oder dem 2:1 gegen Saudiarabien, angekündigt hatte. „Unsere Mannschaft hat genug Erfahrung, um auch mal mit so einer Niederlage umzugehen.“

Trotzdem, das 0:1 kann selbst der Weltmeistermacher von 2014 nicht schönreden. Und das ruft ehemalige Größen, die sich jetzt als „Experten“ verdienen – dieses Modell gibt es nicht nur in Österreich –, auf den Plan. „So ein Gesicht hat die Nationalmannschaft lange nicht gezeigt“, ätzt Lothar Matthäus in seiner Kolumne. Es gebe keine Spieler, die im Eins-gegen-Eins bestehen. Und warum Leroy Sané aus dem Kader gestrichen wurde, sei höchst rätselhaft.

Falsche Taktik, falsches Spiel?

Viele Medien schießen sich auf Löw, seine Planung, die fehlende Reaktion auf Mexikos Angriffe ein. Denn Deutschlands Offensive irrte nur ins Leere. Nun sieht sich die DFB-Führung mit Vorwürfen konfrontiert, die schon vor der WM leise aufflackerten. Wurden Warnsignale ignoriert?

Warum reagierte Löw erst so spät (60.) mit der Auswechslung des so unauffällig über den Platz schleichenden Khedira? Löw wird sich auch einer Sachlage stellen müssen: Hat er die falsche Taktik gewählt, oder haben sie die Spieler falsch umgesetzt? Für diese Lösung hat der Schwabe bis Samstag, 20 Uhr Zeit. Dann beginnt das Schweden-Spiel, sind drei Punkte bereits Pflicht. Ansonst droht, bei zeitgleichem Mexiko-Sieg, das vorzeitige WM-Aus. (fin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2018)

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