Hintergrund: „Als gäbe es bei uns keine Probleme“

(c) REUTERS (Andrew Kelly)
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Das „Diversity House“ in St. Petersburg musste zunächst geschlossen werden, Aktivisten vermuten politischen Willen. Wenn Fußball zur Nebensache wird.

St. Petersburg. Die Grazdanskaya Ulitsa 15, etwas außerhalb des Stadtzentrums von St. Petersburg. Hier, in einem Innenhof, hat sich das „Diversity House“ niedergelassen. Aktivisten werben für Toleranz und gegen Rassismus, die Fußballweltmeisterschaft soll als Bühne dienen. Betrieben wird das „Diversity House“ von Netzwerk Fare (Football against racism in Europe) und der Initiative Cup for People, in Moskau gibt es für den Zeitraum der Endrunde noch ein zweites Haus.

Während es draußen gerade unaufhaltsam regnet, wird im zweiten Stock ein Seminar über Menschenrechte abgehalten. Rund 25 vorwiegend junge Menschen beteiligen sich daran. Bis zu 200 Gäste besuchen das „Diversity House“ täglich, es heißt Einheimische genauso wie internationale Besucher willkommen.

An den Wänden hängen Transparente, auf einem ist Thomas Hitzlsperger zu sehen. Der ehemalige deutsche Teamspieler erklärte im Jänner 2014 öffentlich, homosexuell zu sein. Neben Hitzlsperger outeten sich bislang nur zwei Fußballprofis: der Engländer Justin Fashanu und der US-Amerikaner Robbie Rogers.

Alfred Miniakhmetov ist einer der Koordinatoren im St. Petersburger „Diversity House“, er trägt ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck „comingoutsp.com“. Am 13. Juni, also einen Tag vor der Eröffnung der WM, befand sich Miniakhmetov im ursprünglich angemieteten Gebäude im Stadtzentrum, als dort die Lichter ausgingen. Fremde Männer betraten die Räumlichkeiten – ohne sich vorzustellen, und sie fielen nicht durch Freundlichkeit auf. „Sie haben den Strom abgeschaltet und uns aufgefordert, das Gebäude zu verlassen.“ Der Mietvertrag wurde gekündigt. Miniakhmetov vermutet die örtlichen Behörden hinter dieser Aktion.

Homosexualität ist im WM-Gastgeberland Russland offiziell zwar nicht verboten, seit 2013 wird per Gesetz die sogenannte homosexuelle Propaganda gegenüber Kindern und Jugendlichen aber mit drastischen Strafen belegt. Dass die Politik die Idee des „Diversity House“ also nicht unterstützt, liegt auf der Hand.

Im zweiten Anlauf hat es nun doch geklappt, „bislang ist noch niemand hier aufgetaucht“. Miniakhmetov will Missstände aufzeigen, die Gesellschaft wachrütteln: „Russland präsentiert sich während der WM als liberaler Staat ohne Probleme, ohne Diskriminierung. Die Wahrheit sieht aber anders aus.“ (cg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2018)

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