Während Luka Modrić und Co. in der Vorrunde noch spielerisch zu überzeugen wussten, erwies sich die Elf von Zlatko Dalić in den K.-o.-Spielen als besonders nervenstark. Und an Leidenschaft fehlt es den Kroaten ohnehin nie.
Sotschi. Die Freude über den Sieg gegen die Sbornaja kannte bei Kroatiens Mannschaft am Samstagabend in Sotschi keine Grenzen. „Wir möchten am liebsten jedes Jahr eine WM haben!“, jubelte Ivan Rakitić, der den 4:3-Erfolg im Elfmeterschießen fixierte. Der 30-Jährige spürte dabei die Unterstützung aus der Heimat. „In Kroatien ist die Hölle los. Und wir möchten noch weitermachen.“ Im Mittelpunkt stand bei den Kroaten aber nicht nur Rakitić, einmal mehr war es Regisseur Luka Modrić, der seine Elf zum Sieg und damit ins Semifinale am Mittwoch (20 Uhr, live in ORF eins) im Moskauer Luschniki-Stadion gegen England führte. In fünf Spielen wurde der Kapitän dreimal zum Man of the Match auserkoren.
Mit dem überraschend offensiven Auftreten der Russen hatte die Elf von Teamchef Zlatko Dalić durchaus Mühe. „Sie haben uns mit ihrem frühen Pressing überrascht. Wir konnten unser Spiel nicht aufbauen“, konstatierte Modrić. Mit Fortdauer der Partie habe man sich aber zunehmend besser auf die Spielweise der Gastgeber eingestellt. „In der zweiten Halbzeit und in der Verlängerung haben wir dominiert.“
Die mentale Stärke in der Entscheidung vom Elfmeterpunkt könnte noch zu einem entscheidenden Trumpf werden. Der zweite Sieg der Kroaten im zweiten Elfmeterschießen konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Elf von Zlatko Dalić wie schon gegen Dänemark nicht in der Lage war, ihren Gegner als favorisierte Mannschaft in der regulären Spielzeit zu bezwingen. „Wir hätten unseren Job schon vor dem Elfmeterschießen erledigen sollen. Aber vielleicht steht es in den Sternen, dass wir durch das Extradrama gehen müssen“, sagte Modrić.
Gegen England sind die Kroaten jedenfalls noch stärker gefordert. Andrej Kramarić, Torschütze zum 1:1, erwartet eine harte Partie: „England war von Anfang an einer meiner WM-Favoriten.“ Der Kapitän gab sich hingegen zuversichtlich: „Wir werden dieses Spiel genießen. Es bleibt genug Zeit, um uns auf diese Begegnung ordentlich vorzubereiten.“
In Kroatien hält dank des Triumphzugs die Euphorie weiter an. In vielen Städten des Landes kamen die Fans Samstagabend zu spontanen Feiern auf den Straßen zusammen. Allein in Zagreb verfolgten auf dem Hauptplatz rund 15.000Menschen den Einzug ins Halbfinale. Die starken Auftritte des Teams haben zumindest vorerst die schlechte Stimmung vertrieben, die durch einen Korruptionsprozess entstanden ist, der den gesamten nationalen Fußball erschüttert hat. Und auch dabei ist Modrić ein Hauptdarsteller.
Der 32-Jährige musste als Zeuge vor dem Strafgericht erscheinen und wurde wegen Falschaussage angeklagt. Ihm drohen bis zu sechs Jahre Haft. (ag./red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2018)