Der Weltverband streicht dem 41-jährigen Texaner, einst als eine Art Außerirdischer des Radsports gefeiert, alle seine sieben Erfolge bei der Tour de France: „Lance Armstrong hat keinen Platz im Radsport."
[GENF/WIEN/AG/WW] Einst wurde er als eine Art Außerirdischer des Radsports gefeiert, jetzt steht er vor den Trümmern seiner Karriere. Einer Karriere, die auf eine Unzahl von Lügen aufgebaut war. In der größten Dopingaffäre der Sportgeschichte hat Lance Armstrong seine sieben Tour-de-France-Titel verloren. Der Radsport-Weltverband UCI strich den Amerikaner in Genf aus allen Siegerlisten seit 1998 und sprach eine lebenslange Sperre gegen den Texaner aus. „Lance Armstrong hat keinen Platz im Radsport. So etwas darf nie wieder passieren", sagte UCI-Präsident Pat McQuaid und schloss einen eigenen Rücktritt aus. Was mit Armstrongs Titeln der Jahre 1999 bis 2005 passiere, werde die UCI erst am kommenden Freitag bei einer Sondersitzung entscheiden, so McQuaid. Auch über eine Rückzahlungsforderung der Siegprämien soll dann entschieden werden.
„Das macht mich krank"
Dem 41-jährigen Armstrong war von der US-Anti-Doping-Agentur Usada jahrelanges und systematisches Doping nachgewiesen worden. Wie Zeugen - darunter ehemalige Teamkollegen - unter Eid berichteten, habe Armstrong unter anderem EPO-, Testosteron-, Kortison- und Blutdoping betrieben. Armstrong streitet die Vorwürfe ab. „Was ich im Usada-Bericht gelesen habe, macht mich krank", sagte McQuaid.
In den mehr als 1000-seitigen Bericht der US-Doping-Jäger hatten sich elf ehemalige Helfer Armstrongs offenbart. Der langjährige Radsport-Überflieger habe Teamkollegen zum Doping gezwungen und eingeschüchtert, als diese sich von ihm abgewandt hatten, stand in dem Dossier.
Eine eventuelle Neuvergabe der Tour-Titel soll an diesem Freitag geregelt werden. Armstrong hatte unter anderem dreimal Jan Ullrich auf den zweiten Platz verwiesen. Der Großteil der „Kronprinzen" von Lance Armstrong war oder ist ist ebenfalls gesperrt. Tour-Chef Christian Prudhomme hatte sich zuletzt dafür ausgesprochen, das Gelbe Trikot des Gesamtsiegers nicht neu zu vergeben.
Neben Armstrong als zentrale Figur einer „Doping-Verschwörung" in den Teams US Postal und Discovery Channel war auch der Weltverband selbst in heftige Kritik geraten. In dem Usada-Bericht wurde etwa angedeutet, die UCI habe eine positive Dopingprobe Armstrongs verschleiert. McQuaid lehnte einen Rücktritt ab und verteidigte auch seinen umstrittenen Vorgänger als Verbandsboss, Hein Verbruggen.
„Können nicht jeden Sünder erwischen"
„Natürlich kann man in der Rückschau immer sagen, man hätte mehr tun können", sagte der UCI-Präsident. „Aber man kann nur so viel tun, wie das System, das in Kraft ist, zulässt. Es tut mir leid, dass wir nicht jeden verdammten Sünder erwischen konnten." Der gefallene Rad-Held Armstrong habe es verdient, vergessen zu werden. „Entscheidend ist, dass ein 'verseuchtes Jahrzehnt' aufgearbeitet und endlich abgeschlossen wird", sagte beispielsweise Rudolf Scharping, der Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer.
Armstrong war wegen der massiven Anschuldigungen zuletzt bereits von seinen wichtigsten Sponsoren - darunter Nike - fallengelassen worden. Außerdem trat der 41-Jährige als Vorsitzender seiner Krebsstiftung Livestrong zurück. Der „Weltrekord-Doper" (New York Daily News) steht vor dem Ruin.
Lance Armstrong war ein Besessener, er fürchtete lediglich den Misserfolg. Um zu siegen, war ihm jedes Mittel und Mittelchen recht. „Schmerz ist vergänglich", hat er einmal gesagt. „Aufgeben aber hält ewig." Der Texaner, Vater von fünf Kindern, war vielen Kritikern aber immer schon nicht ganz geheuer. „Ich weiß, dass ich polarisiere", hat Armstrong, der selten Einblicke in seine Seele gewährte, einmal gesagt. Aber in der Reizfigur steckte in Wahrheit ein "abscheuliches Monster". Das letztlich den gesamten Radsport auf dem Gewissen hat.
("Die Presse", Printausgabe vom 23. Oktober 2012)