Erfolgspuzzle in sieben Teilen

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ATHLETICS-WORLD-INDOOR(c) APA/AFP/BEN STANSALL
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Nach WM-Silber feilt Mehrkämpferin Ivona Dadic an der Form für die Freiluft-EM im August. Sie fühlt sich in St. Pölten pudelwohl, genießt die Vorbildrolle und betont Österreichs Potenzial.

Rund um das Sportzentrum NÖ in St. Pölten wird gebaut, im Inneren zeigt sich eine andere Welt. Nachwuchssportler wuseln die Gänge entlang, es werden Hanteln gestemmt, man hört die Gewichte der Kraftmaschinen zusammenstoßen. Hier befindet sich das sportliche Zuhause von Ivona Dadic, Österreichs bester Mehrkämpferin. Vor vier Wochen gewann die gebürtige Welserin Fünfkampf-Silber bei der Hallen-WM in Birmingham. Die dritte Medaille bei einem Großereignis feierte die 24-Jährige mit Schokolade und genoss eine freie Woche, „den großen Urlaub gönne ich mir nach der Saison“, sagt sie. Denn das große Highlight steht erst bevor: Die Freiluft-EM in Berlin im August.

Die Silbermedaille hat zusätzliche Motivation freigesetzt, die Dadic eigentlich gar nicht nötig hätte. „Bis jetzt hat es noch keinen Tag gegeben, an dem es mich nicht gefreut hätte.“ Je fünf Stunden, sechs Tage die Woche arbeitet sie daran, um in vier Monaten in sieben Disziplinen punktgenau ihr Bestes abzurufen. Hinzu kam „positiver Stress“ durch viele Termine. „Noch bekomme ich alles unter einen Hut.“


Englische Bedingungen. In St. Pölten hat Dadic sich ein kleines Trainingsparadies geschaffen. Neben Chefcoach Philipp Unfried stehen ihr drei Spartentrainer, zwei Physiotherapeuten und ein Arzt zu Verfügung, seit gut einem Jahr wohnt sie gleich in der Nähe. „Wunschlos glücklich“ ist die Wahl-Niederösterreicherin mit den Bedingungen. „Mehr geht immer, aber irgendwann muss man zufrieden sein, und das bin ich zu 100 Prozent“, betont sie im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Bevor sie in die Landeshauptstadt kam, trainierte Dadic zwei Jahre lang im Team von Olympiasiegerin Jessica Ennis-Hill in Sheffield. Was damals wie der Jackpot für das ÖLV-Talent geklungen hatte, avancierte durch zwei Knieverletzungen zum Härtetest. „Meine Familie und mein Ehrgeiz haben mir Rückhalt gegeben. Ich habe nie daran gezweifelt, was in mir steckt, aber daran, ob mein Knie es aushält.“ Sie kam zurück in die Heimat, stellte mit Verband und Sponsoren ihr Team neu auf. „In England war alles auf Jessica ausgerichtet. Jetzt habe ich dasselbe daheim für mich.“

Fast ein dreiviertel Jahr dauerte es, bis das Vertrauen in das Knie wieder hergestellt war, die Leistungen folgten: 2016 EM-Bronze und Olympia-Start in Rio (21.), 2017 Hallen-EM-Silber und Rang sechs bei der WM 2017 mit dem aktuellen Rekord von 6417 Punkten sowie nun der Vizeweltmeistertitel in der Halle hinter Katarina Johnson-Thompson. Neben der Britin ist Nafissatou Thiam, die Olympiasiegerin aus Belgien fehlte in Birmingham, die schärfste Rivalin und sogar noch ein Jahr jünger als Dadic. „Ich mache mir keine Gedanken, ob das Glück oder Pech ist. Sie ist da, das ist nun einmal so. Sie ist sehr gut, aber sicher nicht unschlagbar“, sagt die 24-Jährige selbstbewusst.

Die Einheiten in St. Pölten stimmen Dadic positiv für die Freiluftsaison. Ohnehin eine ausgeglichene Athletin, sieht sie kontinuierlich Fortschritte in allen sieben Disziplinen, insbesondere im Hürdenlauf. „Ich war noch nie so gut wie jetzt.“ In einer Woche geht es zum Schnelligkeitstraining nach Florida, dem Trip blickt Dadic sehnsüchtig entgegen. „Die letzten Wochen waren anstrengend. Ich hatte keine Zeit alles zu verarbeiten.“ Den Formtest absolviert Dadic in Ratingen, für das Meeting in Götzis (26./27. Mai) war im EM-Aufbau heuer kein Platz. „Es ist das große Event daheim, nebenbei hinfahren und Zehnte werden, das kann ich nicht.“

Den Stellenwert der Leichtathletik in Österreich sieht Dadic wachsen, der Weltverband lege jedoch beispielsweise mit überteuerten TV-Rechten unnötig Steine in den Weg. „Wenn die IAAF unkomplizierter wäre, könnte man den Sport gut vermarkten“, glaubt sie. Dass der russische Dopingskandal und der Umgang damit dem Image nicht zuträglich sind, bestreitet sie nicht, möchte aber nicht urteilen: „Im Siebenkampf ist keine Russin dabei, also betrifft es mich nicht.“ Die Vorstellung, durch Nachtests Jahre später eine Medaille zu erhalten, sei für sie eine schlimme. „Siegerehrung, Medieninteresse, Sponsorenverträge, alles mit dem man belohnt würde, hat man dann nicht.“


Zum Vorbild gereift.Dadic sucht nie nach Worten, wirkt reflektiert und fokussiert. Die Zeit in England habe sie reifen lassen, ebenso der tödliche Motorradunfall ihres Bruders Ivan 2008 – ein Foto von ihm ist als Glücksbringer immer dabei. „Ich bin heute die Person, weil die letzten Jahre so passiert sind“, erzählt sie. Durch ihre Leidenszeit weiß sie die obligatorischen Schulterklopfer im Erfolgsfall einzuordnen. „Ich freue mich mit denen, die auch in schweren Zeiten da waren.“ Mittlerweile kann die 24-Jährige vom Sport leben, „wenn ich so erfolgreich bleibe, wird mir etwas übrig bleiben.“ Die Grundlage hätten Eltern, Verein und Verband gelegt, wie sie betont: „Vielleicht hatte ich Glück, aber ich hatte die Unterstützung von Anfang an.“

Ihre Rolle als Aushängeschild und Vorbild genießt Dadic. „Es taugt mir, wenn Junge zu mir aufschauen“, sagt sie. Im Mehrkampf gibt es mit Verena Preiner, 23, und Karin Strametz, 19, sowie Junioren-Weltmeisterin Sarah Lagger, 18, Nachahmerinnen. Wenn es nach Dadic geht, soll das für die heimische Leichtathletik erst der Anfang sein. „Meine Erfolge haben gezeigt, was möglich ist. Wenn der Verband das realisiert, geht das in anderen Disziplinen auch. Die Talente haben wir.“ ?

Steckbrief:

Ivona Dadic wurde am 29. Dezember 1993 in Wels geboren. Ihre Eltern sind Kroaten, die während des Bosnienkriegs nach Österreich geflüchtet sind.

Siebenkampf
Als Volksschülerin wurde sie bei einer Laufolympiade in Wels entdeckt, bald zeigte sich ihre Vielseitigkeit und sie wechselte zum Mehrkampf.

Karriere
2012 stellte Dadic beim Mehrkampf-Meeting in Götzis einen neuen nationalen Rekord auf und löste das Olympia-Ticket für London. Im Anschluss an die Spiele trainierte sie für zwei Jahre im Team der britischen Olympiasiegerin Jessica Ennis-Hill. 2015 übersiedelte sie nach St. Pölten.

Erfolge
Im Siebenkampf gewann Dadic 2016 EM-Bronze und hält mit 6417 Punkten (WM 2017 in London) den österreichischen Rekord. In der Halle sicherte sie sich 2017 EM-Silber und Anfang März WM-Silber im Fünfkampf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2018)

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